Sturmwolken am Horizont -: Roman (German Edition)
sprang auf. Willi und Peter sahen ebenfalls fragend in ihre Richtung, unterbrachen aber ihre gierige Nahrungsaufnahme nicht für eine Sekunde.
»Der Rittmeister liegt bewusstlos in seinem Arbeitszimmer. Wir brauchen den Arzt. Und der Kutscher soll mit einem stabilen Brett für den Transport kommen«, richtete sie Philippes Worte aus.
Maria winkte Henny herbei. »Lauf zu Bruno, du hast gehört, um was es geht!«
Das Dienstmädchen nickte zwar, zögerte aber, sodass Maria ihr einen auffordernden Klaps auf den Rücken verpasste. Demy konnte Henny den Widerwillen nicht verdenken. Wie oft war sie in den Jahren ihrer Dienstmädchenstellung von dem Patriarchen missbraucht worden, ohne jede Möglichkeit, sich gegen ihn zur Wehr zu setzen?
Demy lief zurück ins Arbeitszimmer, wo Philippe den Bewusstlosen vor den Schreibtisch gezogen und ihm ein Sitzkissen unter den Kopf gelegt hatte. Er hockte neben ihm, sein Kinn auf den Unterarmen aufgestützt, die auf den angezogenen Knien ruhten, und betrachtete das fahle, eingefallene Gesicht des Mannes.
Da Demy den Eindruck hatte, hier nichts tun zu können, ja vielmehr zu stören, verließ sie den Raum und wartete vor der Tür auf Bruno. Als der Kutscher eintraf, betteten die Männer den Bewusstlosen auf das mitgebrachte Holzbrett und trugen ihn die Stufen hinauf. Demy eilte voraus, damit sie ihnen die Türen öffnen konnte, und stellte erstaunt fest, wie nüchtern, fast spartanisch die beiden Privaträume des alten Meindorff eingerichtet waren. Als Philippe und Bruno den Hausherrn auf sein Bett gewuchtet hatten, trat der heftig keuchende Arzt ein.
Bruno und Demy verließen das Schlafzimmer, und während der Kutscher sich eilig davonmachte, ging Demy unschlüssig auf dem hochflorigen Teppichboden im Flur auf und ab.
Als Demy auf ihrem ruhelosen Weg einmal wieder das Zimmer Meindorffs passierte, eilte ihr Maria entgegen. Sie hielt die Hand, mit der sie ein Stück Papier umklammerte, gegen ihre Brust gepresst. »Demy!«, stieß sie hervor, bevor die ersten Tränen über ihr Gesicht rollten.
Die Niederländerin schaute die sichtlich aufgelöste Haushälterin fragend an, die die Stirn gegen Demys linke Schulter presste, als suche sie dort Halt. »Was ist denn passiert?« Nie zuvor hatte Demy die sonst so gelassene, gelegentlich etwas raubeinige Frau so aufgelöst erlebt. Fürsorglich legte sie die Arme um Marias breites Kreuz.
»Nachricht von der Front. Ich fürchte, schlechte Nachrichten.«
»Hannes!«, keuchte Demy entsetzt, schob Maria von sich und riss ihr das Papier aus der Hand. In nüchtern klingenden Worten wurde darin erklärt, dass Leutnant Hans Meindorff im Gefecht schwer verwundet worden sei, in einem Lazarett in Frankreich liege und zum momentanen Zeitpunkt nicht transportiert werden könne. Schreckliche Visionen eines von Granaten zerfetzten, blutüberströmten Hannes ließen Demy rückwärtstaumeln, und sie prallte gegen einen muskulösen Körper. Kräftige Hände ergriffen sie an den Schultern und drehten sie um.
»Was ist mit Hannes?« In Philippes Stimme, noch tiefer als gewöhnlich, schwang etwas Drohendes mit, das auch in seinen Augen aufflackerte. Erschrocken und fasziniert zugleich blickte sie den Mann an. In diesem Moment verstand sie, weshalb Margarete, Lina und manch andere ihrer Bekannten sagten, Philippe würde ihnen Angst einflößen.
Eilig drückte Demy ihm die Benachrichtigung in Brusthöhe gegen den Uniformrock. Ohne sich zu vergewissern, ob er das Papier ergriffen hatte, wandte sich um und floh in ihr Zimmer. Sie wünschte sich sehnlichst, mit dem Brief auch ihre Ängste um Hannes, den alten Meindorff, die Scheffler-Zwillinge und die Zukunft ihrer Geschwister abgegeben zu haben. Schluchzend warf sie sich auf ihr Bett.
Bei dem Gedanken an Edith und ihre beiden Mädchen wuchs ihre Verzweiflung noch weiter an. In ihrem Schmerz schleuderte sie zwei Kissen quer durch den Raum, wobei eines ein Wasserglas von der Kommode fegte, das klirrend zersprang. Würde Ediths Welt ebenso zerbrechen, wenn sie von der schweren Verwundung ihres geliebten Hannes erfuhr?
***
Philippe zwang sich zur Ruhe. Er war in Windhuk durch mehrere Schüsse schwer verletzt worden. Bis auf gelegentliche Kopfschmerzen, unter denen er früher nie gelitten hatte, war er vollständig wiederhergestellt. Es half nichts, sich verrückt zu machen, bevor eine Mitteilung mit Details über Hannes’ Zustand eintraf.
Unschlüssig lehnte er sich mit dem Rücken an die Flurwand und starrte
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