Sturmwolken am Horizont -: Roman (German Edition)
plötzlich und für Demy völlig unvorbereitet, weshalb sie erneut ihre Nase krauszog. Verblüfft betrachtete sie ihren Begleiter, der sie auffordernd ansah und dabei die Arme vor der Brust verschränkte. Diese Frage war schon lange nicht mehr Gegenstand ihrer Überlegungen gewesen.
Philippe, der sie mit gerunzelter Stirn musterte, schickte gleich eine zweite Frage hinterher: »Und warum involvieren Sie sich so sehr? Weder die Angestellten der Meindorffs noch Ihre Schützlinge müssten Sie in dem Maße kümmern, um sich in diesen unruhigen Zeiten allein hierherzuwagen. Zudem könnte Ihr Interesse an den finanziellen Angelegenheiten von einem missgelaunten Rittmeister und seinem ältesten Sohn als ungerechtfertigte und verwerfliche Einmischung angesehen werden. Ganz zu schweigen davon, dass Sie schon wieder versuchen, sich mit mir anzulegen.«
»Aber irgendjemand …« Demy stockte und wandte sich von dem bedrohlich auf sie herunterblickenden Mann ab. Auf dieser Seite ihres Wegs wuchsen Weiden und Birken, die sich sanft im Wind wiegten, dahinter lag das glitzernde Wasser des Flusslaufs.
Wie einfach könnte das Leben für sie sein, wenn sie sich ausschließlich auf sich selbst konzentrieren würde, statt sich um die Angelegenheiten ihrer erwachsenen Schwester zu kümmern! Oder um die einer Familie, die sie nichts anging, bei der sie nicht einmal Akzeptanz fand; ganz abgesehen von ihrer Fürsorge für die ihr wildfremden Menschen!
Aber sie wollte nicht untätig zusehen, wie andere hungerten, froren oder jeder Lebensgrundlage beraubt wurden. Sie liebte ihre Geschwister, auch Tilla, obwohl sie deren Verhalten längst nicht mehr verstand. Und sie mochte Henny, Maria, die Zwillinge und alle die anderen, die das Schicksal wie eine kräftige Windbö in das Meindorff-Haus geweht hatte. Oder nahm sie sich zu wichtig? Würden diese Menschen ohne sie ebenso zurechtkommen, ihren eigenen Weg gehen?
»Sie wissen nicht, weshalb Tilla vor Jahren auf Ihrer Begleitung bestand und deshalb mit Ihrem Alter schummelte, nicht wahr?«, brachte Philippe sich in Erinnerung. »Sie wissen es genauso wenig, wie ich nicht weiß, warum meine Mutter mich im Alter von fünf Jahren in Berlin zurückließ.« Philippes Stimme war leise, nahezu sanft.
Demy hob verwundert die Augenbrauen. Sie kannte ihn nur raubeinig, dominant, vorwurfsvoll oder frech. Diese neue Seite an ihm war ihr gänzlich unbekannt.
»Aber für Ihre jüngeren Geschwister, für Degenhardt, Henny und all die anderen, und dazu zähle ich auch Hannes, Edith und deren Töchter, ist Ihre Anwesenheit das reinste Glück. Sie sind unersetzlich, selbst wenn Sie das vermutlich nicht einmal so sehen.« Er hob die Hand, damit sie ihn nicht unterbrach, was sie allerdings auch nicht vorgehabt hatte. Sie versuchte lediglich von seinem Gesicht abzulesen, ob er sich über sie lustig machte. Doch seine blauen Augen waren ernst, aber freundlich auf sie gerichtet, ohne eine Spur von Spott oder Hochmut, der ihm sonst zu eigen zu sein schien.
»Dann helfen Sie mir also?« Ihre Stimme klang verzagt.
»Die Fabriken der Meindorffs stecken in finanziellen Schwierigkeiten. Das ist eine Entwicklung, die vor Monaten, wenn nicht sogar Jahren begann. Ich kann sie nicht retten. Aber um Ihretwillen sehe ich mir die Papiere durch. Immerhin haben Sie diese so nett verpackt mitgebracht.« Er zwinkerte ihr fröhlich zu und hatte offenbar vergessen, dass er Demys Anwesenheit zuvor noch missbilligt hatte. »Wenn ich eine Möglichkeit zum Eingreifen sehe, tue ich es, ansonsten kann ich versuchen, Joseph aus seinem kriegerischen Tiefschlaf zu wecken.«
»Mehr wollte ich doch gar nicht.«
»Ach!« Das spitzbübische Funkeln war in seine Augen zurückgekehrt. Demy erkannte zum ersten Mal eine gewisse familiäre Ähnlichkeit mit Hannes. »Und ich dachte, ich muss die beiden Unternehmen auf Vordermann bringen, die Meindorff-Josephs zur Arbeit zerren, den Krieg beenden und am besten die Familienzwistigkeiten noch gleich mit!«
»Lassen Sie sich nicht von mir aufhalten!«, gab Demy zurück und fühlte sich ein bisschen leichter.
Philippe jedoch wurde ernst: »Wenn ich Sie da raushauen soll, Fräulein Demy: Ein Wort genügt. Ich halte mein Versprechen.«
»Und ich lasse niemanden im Stich!«
»Das dachte ich mir nun wiederum.«
»Deshalb also Ihr großzügiges Angebot? Weil Sie ohnehin keine Gefahr sahen, dass ich es annehmen könnte?«, forderte sie ihn heraus und brachte ihn damit zum Schmunzeln. Ein
Weitere Kostenlose Bücher