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Sturmwolken am Horizont -: Roman (German Edition)

Sturmwolken am Horizont -: Roman (German Edition)

Titel: Sturmwolken am Horizont -: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Büchle
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starb aber kurz nach der Geburt. Ich bin auf der Suche nach einer Amme für das …«
    »Das ist ja mal gerecht! Ich durfte den Essensabfall nicht mitnehmen und mein Kind starb. Jetzt wird ein adeliges Kind sterben! Wobei – irgendwie kriegen die es bestimmt durch!«
    »Galina, ich verstehe deine Vorbehalte. Bedenke aber bitte, dass das kleine Mädchen nichts für das kann, was dir angetan wurde. Außerdem würde man dich mit Lebensmitteln bezahlen«, lockte Anki.
    »Ach ja? Ich weiß, dass die in den Palästen sich die fetten Bäuche noch mit Delikatessen vollstopfen. Und ich soll mich mit den Abfällen begnügen?«
    »Eine Amme wird immer gut versorgt.«
    »Schau dir mal mein Würmchen an!« Galina streckte Anki das magere, kaum bekleidete Kind entgegen, das seltsam schlaff wirkte. »Ich krieg ja dieses schon nicht satt.«
    »Wenn du im Haus der Chabenskis gutes Essen bekommst, wirst du auch dein eigenes Kind besser stillen können.«
    »Ach, verschwinde. Ich will mit diesen Ausbeutern nichts mehr zu tun haben!« Die Frau schlug ihr die Tür vor der Nase zu. Für einen Moment war Anki versucht, mit dem Fuß gegen das morsche Holz zu treten. Sie wollte die Frau mit stichhaltigen Argumenten auf ihre eigene Dummheit hinweisen – so wie Demy es sicher getan hätte –, aber dazu ließ sie sich nicht hinreißen. Stattdessen drehte sie sich zu den wartenden Menschen vor dem Laden um. Vielleicht fand sie dort jemanden, der die Vorteile für sich und seine Familie erkannte und zu helfen bereit war.
    Der Himmel über Petrograd verfärbte sich gelblich und kündigte einen neuen Tag an. Noch immer fiel die Temperatur nachts auf weniger als zehn Grad, weshalb die ersten Sonnenstrahlen ein Lächeln auf Ankis Gesicht zauberten. Doch es war eine weitere Nacht vergangen, in der die inzwischen zwei Tage alte Prinzessin mit der für sie nicht sonderlich bekömmlichen Kuh- und Schafsmilch ernährt wurde.
    Mit schnellen Schritten, sodass ihr knöchellanger Mantel um ihre Beine flatterte, näherte sie sich der Menschenschlange. Unter den Wartenden entstand plötzlich Unruhe. Drei Männer tauchten jenseits der Anstehenden auf. Die Frauen stießen erschrockene, protestierende Rufe aus. Diejenige, an die sich das schlafende Mädchen lehnte, schüttelte dieses und schrie es an, es solle fliehen! Das Kind starrte sie nur verwirrt an.
    Glas splitterte. Die tief stehenden Sonnenstrahlen verwandelten Tausende winzige durch die Luft wirbelnde Scherben zu einem Meer aus glitzernden Sternen. Die Faszination des Schauspiels dauerte nur Sekunden, dann brach das Chaos los.
    ***
    Ein Mann sprang durch die zerschlagene Scheibe in das Innere des Ladens, in dem zwei Frauen mit weißen Schürzen dabei gewesen waren, Mehl und Zucker aus Säcken in kleine Beutel zu füllen. Auf dem Tresen lagen ordentlich aufgereiht zwölf Laibe Brot. Mehr nicht.
    Die Frauen flohen kreischend in die angrenzende Wohnung und verrammelten hinter sich die Tür, während der Mann die Brote packte und aus dem Fenster reichte. Die übermüdeten Wartenden lösten sich aus ihrer Erstarrung und drängten hinzu. Jeder wollte etwas von der Beute abbekommen. Einer der Jungen stolperte und fiel mit den Knien und Händen in die am Boden liegenden Scherben. Sein Schmerzensschrei ging in den wütenden und fordernden Rufen des Mobs unter. Noch mehr Scheiben gingen zu Bruch, eine Frau schrie gellend auf, fand aber kein Gehör. Dafür begann eine Männerstimme zu skandieren: »Mehr Brot, mehr Brot! Gebt uns Brot!« Die Frauen stimmten mit ein, erst zaghaft, dann lauter und schließlich mit sich überschlagenden Stimmen. Fenster an den Häusern entlang der Straße wurden aufgerissen. Einige schlossen sich sofort wieder, andere blieben offen, und die aus dem Schlaf gerissenen Anwohner fielen in die Parole mit ein. Aus Haustüren und Hinterhöfen quollen Männer, Frauen und Kinder. Sie schoben sich durch die Menschenmenge, stürmten den Laden, rissen den Glücklichen ihre Beute aus den Händen, stießen und schlugen auf sie ein.
    Anki stand fassungslos am Rande des Geschehens. Ihre Augen suchten den gestürzten Jungen, doch sie konnte außer Stiefeln, wippenden Röcken und zerschlissenen Hosenbeinen nur aufgewirbelten Straßenstaub und das vereinzelte Aufblitzen von Scherben ausmachen. Eine kräftige Hand ergriff sie und wirbelte sie herum. Erschrocken sah sie auf – und in das verzerrte Gesicht von Oskar Busch.
    »Du?«, rief Anki entsetzt aus. Gehörte Oskar etwa zu den Unruhestiftern, die

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