Sturmwolken am Horizont -: Roman (German Edition)
ihn ausgiebig. Philippe erwiderte seinen intensiven Blick ohne Scheu. Der Patriarch war in den vergangenen Jahren deutlich gealtert. Sein einstmals dunkles Haar war völlig weiß, er bewegte sich ungewohnt schwunglos und die blasse, ungesunde Farbe seines eingefallenen Gesichts wies auf einen schlechten Gesundheitszustand hin.
Meindorffs Gehör schien allerdings nach wie vor exzellent zu sein, stellte Philippe fest, als dieser an ihn gewandt sagte: »Genau aus diesem Grund braucht dich das deutsche Heer. Du hast Kampferfahrung! Das geht den jungen Soldaten und den meisten der aktiven Offiziere ab.«
Philippe ließ Joseph stehen, ging mit festem Schritt auf seinen Ziehvater zu und begrüßte ihn höflich, aber wie bereits vor Jahren keineswegs unterwürfig.
»Was treibt dich nach Berlin?«
»Demy!«, wandte Joseph an seiner statt ein und gesellte sich zu ihnen.
»Was hat das Fräulein denn nun schon wieder angestellt?«, brummte Meindorff und griff sich mit der rechten Hand an seinen linken Arm, um diesen zu massieren.
»Meine Ehefrau kam ja ohne ihren Anhang aus Paris zurück, angeblich, weil Demy erkrankt war.«
Diesmal war es Philippe, der Joseph ins Wort fiel. »Die Kriegserklärung überraschte sie, weshalb ich ihr half, Frankreich zu verlassen und hierherzugelangen.«
Meindorff wischte seine Erklärung mit einer Handbewegung beiseite. Offenbar war Demy kein Thema, das ihn interessierte. »Wir setzen die Unterhaltung in meinem Kontor fort. Dort erzählst du mir von deinen Plänen.« Ohne auf seine Zustimmung zu warten drehte Meindorff sich um.
Philippe betrat hinter dem Hausherrn dessen Arbeitszimmer, das sich nicht einen Deut verändert hatte. Hier schien die Zeit stehen geblieben zu sein, während sie an Meindorff selbst deutliche Spuren hinterlassen hatte. Einzig die Ziersträucher vor dem gläsernen Wintergarten waren entfernt worden, vermutlich hatten sie dem Raum zu viel Licht geraubt.
Mit vernehmlichem Ächzen ließ Meindorff sich schwer auf seinen Stuhl fallen. Philippe lehnte sich mit der Schulter an die Glasfront.
»Wo kommst du her?«, wollte der alte Mann wissen.
In der Annahme, Meindorff wolle nicht hören, wo er die letzten sechs Jahre verbracht hatte, erwiderte Philippe knapp: »Paris.«
»Hast du vor, dich in Berlin niederzulassen?«
»Ich arbeite bei Fokker in Schwerin, werde aber auch gelegentlich in Döberitz und Johannisthal sein.«
»Dann stimmt das Gerücht also, dass du zu den Fliegern gehörst?«
»Ich bin Ingenieur und Flugzeugkonstrukteur, nebenbei bilde ich Piloten aus.«
»Du hast das Geld, das ich für dich anlegen ließ, niemals angerührt.«
»Ich habe mein Studium selbst finanziert, Herr Rittmeister.«
»Mir gefällt es, wenn ein Mann sein Leben in die Hand nimmt.«
Philippe schwieg. Hannes, Meindorffs zweitältester Sohn, hatte das ebenfalls getan und anstelle von Demy die Frau geheiratet, der seine Liebe galt. Edith entsprach jedoch nicht dem Bild und dem Stand, den der Rittmeister von den Ehefrauen seiner Söhne erwartete, weshalb er Hannes seit ihrer letzten Auseinandersetzung wenige Tage vor der heimlichen Trauung nicht mehr gesehen und gesprochen hatte. Er kannte also weder Edith noch seine beiden Enkelinnen. Einzig die Gebühren für die Elitekadettenanstalt Groß-Lichterfelde 11 hatte er bis zu Hannes’ Abschluss weiterbezahlt. Aber vermutlich war dies nur seinem Ehrgeiz geschuldet, wollte er doch, dass alle seine Söhne den Rang eines Offiziers bekleideten.
Der Rittmeister räusperte sich und schichtete ein paar Papiere auf seinem Schreibtisch um. »Du bleibst demnach in der Nähe Berlins?«
Philippe bejahte, wusste aber den Tonfall seines Gesprächspartners nicht einzuordnen. Freute er sich über seine Anwesenheit oder kam sie ihm vielmehr ungelegen?
»Jedenfalls verspüre ich noch heute Erleichterung darüber, dass du dir damals die Heirat mit dieser Negerin aus dem Kopf geschlagen hast.«
Philippe biss die Zähne zusammen. Noch immer fühlte er den Schmerz des Verlustes von Udako wie den heißen Wüstenwind, der über die Namib 12 wehte und beißende Sandkörnchen mitriss. Seine zauberhafte Udako war von geldgierigen Halunken ermordet worden, und einer der Finanziers der damaligen Diamantschürfstelle war Meindorffs Sohn Joseph gewesen. Vermutlich wusste der Patriarch bis heute nichts von diesem verlustreichen Geschäft seines Ältesten.
Der Rittmeister musterte seinen erwachsenen Pflegesohn missbilligend. Er war es nicht gewohnt, dass man ihm
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