Sturmwolken am Horizont -: Roman (German Edition)
einzigen Tochter einwandte. Diesen Gedanken behielt Anki jedoch tunlichst für sich. »Deine Mutter und ich haben ein Ratespiel über dich und deine bisherigen Lebensjahre vorbereitet, Nina. Es sind keine schwierigen Fragen, sodass deine Freundinnen sicher die meisten beantworten können. Möchtest du dir die Fragen ansehen und das Spiel persönlich leiten?«
»Das hört sich spannend an«, sagte Nina, warf aber einen vorsichtigen Blick zu Raisa.
Die junge Baroness verzog verächtlich das Gesicht, woraufhin sich Anki beeilte, einer abfälligen Bemerkung zuvorzukommen. »Da Raisa Wladimirowna schwerlich mitspielen kann, dachte ich, sie könne mit dir gemeinsam durch das Spiel führen. Was denken Sie, Baroness?«
»Na, gut. Bevor ich mich auf diesem Kinderfest noch zu Tode langweile …«, erwiderte Raisa übertrieben freundlich.
Erleichtert nahm Anki eine Mappe vom Tisch und schlug sie auf. Dabei entgingen ihr Raisas geflüsterte Worte nicht: »Warum lässt du dich von dieser Angestellten so respektlos anreden? Du stehst gesellschaftlich weit über ihr.«
»Meine Mutter besteht darauf«, zischte Nina unangenehm berührt zurück, wusste sie doch, dass ihre Erzieherin sie hören konnte.
»Dann musst du lernen, dich gegen deine Mutter zu behaupten. Diese Njanja stellt sich mit dir auf eine Stufe. Das ist ungeheuerlich! Und vermutlich waren es auch sie und deine Mutter, die Musik und Tanz verhindert haben, nicht? Du darfst dir nicht alles gefallen lassen! Aus diesem Alter sind wir heraus! Wir müssen lernen, uns durchzusetzen! Und wenn deine alten Eltern das nicht einsehen wollen, haben sie die Folgen zu tragen!« Ihre Stimme wurde nicht nur durchdringender, sondern auch deutlich höher. »Strafe sie, indem du sie ignorierst. Das schmerzt sie am meisten und so setzt du am schnellsten deinen Willen durch. Und da deine Mutter ohnehin auffällig rückschrittlich ist und so entwürdigend vertraut mit ihren Bediensteten umgeht …«
»Baroness Raisa Wladimirowna, dürfte ich Sie bitte einen Augenblick sprechen?«
Das Mädchen sah erschrocken auf. Anki registrierte dies mit Erleichterung, ebenso wie den Anflug eines schlechten Gewissens, der über die jugendlichen Gesichtszüge huschte. Allerdings kam sehr schnell wieder ihre arrogante Fassade zum Vorschein. Dennoch erhob sich Raisa und folgte Anki ein paar Schritte.
Mit dem Rücken zu Nina, damit das Mädchen sie nicht hörte, sprach sie sanft auf Raisa ein: »Entschuldigen Sie bitte, Baroness. Wie Sie wissen, bin ich für das Wohlergehen und die Erziehung der Chabenski-Kinder zuständig. Die Familie Chabenski bringt mir in dieser Hinsicht großes Vertrauen entgegen. Ich liebe die Mädchen und ich bin den Chabenskis zu Dank verpflichtet. Der Fürst und die Fürstin sind mir große Vorbilder und pflegen eine enge Beziehung zu ihren Kindern. Sie, Raisa Wladmirowna, sind freier erzogen und aufgewachsen als Nina.« Anki zögerte einen Moment, ehe sie mutig fortfuhr: »Ich glaube nicht, dass die Chabenskis es begrüßen würden, wenn Nina in dieser Hinsicht durch Sie beeinflusst würde.«
»Unverschämtes Stück. Du wagst es, mich zu belehren? Mich so vor meiner Freundin zu demütigen …«, ereiferte sich das junge Mädchen.
»Ich nahm Sie bewusst beiseite, damit Nina unser Gespräch nicht mit anhört. Und ich werde hinsichtlich dem, was Sie eben sagten, den Chabenskis gegenüber Stillschweigen wahren, da sie ansonsten vermutlich jeden Kontakt zwischen Ihnen und Nina beenden würden.«
»Du denkst doch nicht etwa, die Chabenskis stellen sich auf die Seite einer einfachen Njanja – gegen mich?«
»Die Fürstin und der Fürst würden sich in jedem Falle auf die Seite ihres Kindes stellen, Baroness Osminken«, erwiderte Anki nun etwas schärfer und ohne den Vaternamen auszusprechen, da sie dem Mädchen verdeutlichen wollte, dass auch ihre Höflichkeit ihre Grenzen hatte. »Die Hoheiten wünschen sich das Beste für Nina und sie stimmen mit mir darin überein, dass ein vertrauensvolles Verhältnis zwischen Kind und Eltern das Allerwichtigste ist.«
Ohne Scheu sah Anki das Mädchen an. Täuschte sie sich oder wirkte Raisa tatsächlich verunsichert? Ermutigt trat sie einen Schritt vor und flüsterte mit versöhnlicher Stimme: »Sie haben leider sehr früh Ihre Mutter verloren, Baroness Raisa Wladimirowna. Das tut mir sehr leid. Nina mag und bewundert Sie. Vielleicht könnten Sie eine enge Vertraute für sie werden?« Wie ein Friedensangebot streckte Anki dem Mädchen die
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