Sturmwolken am Horizont -: Roman (German Edition)
vorbereiteten Quizfragen entgegen. Dem prüfenden Blick der Siebzehnjährigen hielt sie stand, bis diese die Augen abwandte, ihr die Papiere aus der Hand nahm und zu der ungeduldig wartenden Nina zurückkehrte.
Anki atmete mehrmals tief durch. War sie zu weit gegangen? Hatte sie sich in ihrer Sorge um Nina, aber auch um Raisas Zukunft zu Worten hinreißen lassen, die sie womöglich in Schwierigkeiten bringen könnten? Aber gelegentlich war es nötig, sich erst einmal den Respekt eines Kindes zu sichern und ihm deutlich den eigenen Standpunkt klarzumachen, ehe sich ein gutes Verhältnis, womöglich sogar Zuneigung und Freundschaft entwickeln konnte. Ob das bei Raisa gelingen konnte?
Die Baroness riss die Leitung des Spiels vollständig an sich, was Nina jedoch nicht im Geringsten störte. Sie saß wie ihre Gäste auf eilig herbeigebrachten Stühlen und freute sich über jede richtige Antwort.
Anki trat zu Nadeszhda an das Büfett und ließ sich ein Glas Wasser reichen. Kurz darauf gesellte sich die Fürstin zu ihnen und beobachtete lächelnd die jetzt deutlich zahmere Kinderschar.
»Was für ein guter Einfall von Ihnen. So kommen die Gäste zur Ruhe.«
»Zumindest für ein paar Minuten.« Anki lachte, als die ständig zappelnde, sichtlich aufgeregte Jelena genau in diesem Moment von ihrem Stuhl kippte.
»Sie sind so unterschiedlich, nicht?«, setzte Fürstin Chabenski das Gespräch fort und nahm mit einem Nicken ein Glas Wasser entgegen.
»Wie Tag und Nacht, Hoheit. Aber meine Schwestern und ich sind das ebenfalls.«
»Ich wuchs als einziges Kind meiner Eltern auf, diesen Erfahrungsschatz teile ich leider nicht mit Ihnen. Aber dafür haben wir ja Sie!« Fürstin Chabenski drückte ihr in einer dankbaren Geste den Arm.
Raisa, die in der ihr zugedachten Rolle voll aufging, lachte schallend über die drollige Antwort der kleinen Katja, war allerdings klug genug, das Mädchen nicht bloßzustellen, sondern ermunterte es, schärfer nachzudenken.
»Sie hatten vorhin eine Auseinandersetzung mit der kleinen Osminken?«, fuhr die Fürstin fort, ohne die Augen von der exquisit gekleideten Kinderschar in ihrem erlesenen Ballsaal zu nehmen.
Anki leerte ihr Glas und rollte es in ihren Händen hin und her. »Baroness Raisa Wladimirowna ist für ihr Alter weit entwickelt, Hoheit. Ihr Entwicklungsstand und ihre Ansichten passen nicht immer mit denen von Nina überein. Diesen Tatbestand hielt ich ihr vor Augen.«
»Sie ist nicht einfach, das habe ich wohl bemerkt. Aber für ein Mädchen ist es schwer, ohne Mutter und nur mit einem vielbeschäftigten Vater aufzuwachsen, zumal dieser, so scheint mir, kein glückliches Händchen bei der Wahl einer Njanja für seine Tochter bewies.«
»Da stimme ich Ihnen zu, Hoheit. Ich hoffe, mit der Zeit das Vertrauen der Baroness zu erlangen. Vielleicht gelingt es mir, positiv auf sie einzuwirken. Natürlich von Frau zu Frau!«
Fürstin Chabenski lachte über Ankis teils humorvolle, teils ernst gemeinte letzte Bemerkung. »Ich habe von Ihnen nichts anderes erwartet. So eine Geburtstagsfeier ist der passende Zeitpunkt, um der Njanja einmal ein großes Lob auszusprechen. Fräulein Anki, Sie sind eine Perle!«
»Ich danke Ihnen, Hoheit. Ihr Lob bedeutet mir sehr viel«, flüsterte Anki, berührt von den anerkennenden Worten der Adeligen.
In diesem Augenblick kam Katja auf sie zugelaufen. Offenbar war ihr das Spiel, zu dem sie nicht viel beitragen konnte, langweilig geworden, und sie hatte sich die Geschenke ihrer Schwester auf dem Tisch angesehen. Mit einem in feines Leder gebundenen Buch in den Händen stellte sie sich vor ihr Kindermädchen.
»Das haben Sie Nina geschenkt, nicht wahr, Fräulein Anki? Es ist ein deutsches Liederbuch mit Noten darin. Lieder wie die, die wir bei unseren Spaziergängen im Sommergarten singen.«
Wie sie es zumeist tat, wenn sie mit den Kindern sprach, ging Anki in die Hocke. Sie nahm dem Mädchen das Buch aus der Hand und schlug es auf. Die bunt illustrierten Seiten mit den Kinderliedern faszinierten sie selbst aufs Neue. »Ja, das ist mein Geschenk. Euch gefallen die Lieder doch so sehr, und da ihr Klavierunterricht erhaltet, dachte ich, wir könnten die Melodien spielen lernen. Sie sind leicht am Klavier zu begleiten.«
»Und wir könnten wieder tanzen!«, freute sich die Achtjährige. »Wie damals, als Ihre Schwester Sie besuchte!«
Anki nickte voll Wehmut, die sie immer überfiel, wenn Jelena Katja von ihrem ganz besonderen Ausflug in den Sommergarten
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