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Sturmwolken am Horizont -: Roman (German Edition)

Sturmwolken am Horizont -: Roman (German Edition)

Titel: Sturmwolken am Horizont -: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Büchle
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erzählte, da Katja sich nicht mehr an diesen erinnern konnte. Obwohl Tilla und Demy viel auf Reisen waren, hatte sich nie wieder ein Besuch in St. Petersburg ergeben. Manchmal fragte sich Anki, ob Tilla sie mied. Sie schrieb äußerst selten, während Demy sie förmlich mit Briefen überschüttete. Anki wusste über die Heimlichkeiten Bescheid, die Demy umgaben, ebenso über Feddos Streiche und Rikas Vorlieben, aber von Tilla erfuhr sie nur Oberflächliches. Es war, als umgebe die älteste Schwester ein rätselhafter Nebel.
    »Mama, kannst du dich nicht an den Flügel setzen und für uns spielen? Und wir singen und tanzen. Bitte?«, unterbrach Katja Ankis traurige Gedanken.
    »Darf ich …?« Fürstin Chabenski nahm ihr lächelnd das Buch aus der Hand und blätterte darin. Augenscheinlich sagten ihr neben den liebevoll gestalteten, farbigen Illustrationen auch die deutschen Texte zu. So ging sie an den wie dunkler Bernstein schimmernden Flügel hinüber und klappte ihn auf. Nach dem Ende des Frage- und Antwortspiels mitsamt Preisverleihung wollte sich erneut lärmende Unruhe einstellen, aber da begann Fürstin Chabenski mit ihrem Klavierspiel. Angelockt von den sanften Tönen versammelten sich die Kinder wie eine Herde Lämmer um ihren Hirten und lauschten.
    Anki schloss genießerisch die Augen. Diese Frau war eine virtuose Pianistin. Sie verlieh selbst den einfachsten Melodien eine berauschende Intensität. Vor ihrem inneren Auge sah sie im Wind wippende Blütenköpfe, tanzende Kinder und munter umhersummende Hummeln.
    »Fräulein Anki, bitte singen Sie mit uns!«, rief Jelena, die links und rechts zwei Spielkameradinnen an den Händen hielt.
    »Bitte, Fräulein Anki. Sie sind mit einer so bezaubernden Singstimme beschenkt«, lockte auch Fürstin Chabenski.
    Über das Lob der exzellenten Musikerin etwas verlegen trat Anki neben sie und warf einen Blick auf den Text. Kurz darauf erklang im ehrwürdigen Ballsaal fröhlicher Kindergesang zum Klavierspiel. Die Gäste tanzten Hand in Hand in einem großen Kreis. Nur Raisa stand abseits und beobachtete mit geringschätziger Miene die Kinder. Diese tanzten auf sie und eine Marmorstatue zu, die einen Schwan mit ausgebreiteten Flügeln und hoch in die Luft gerecktem Kopf darstellte. Plötzlich ertönte ein lang gezogener Schmerzensschrei. Gesang und Klavierspiel brachen abrupt ab. Für einen Moment hallte die Melodie in dem hohen Raum nach, dann herrschte absolute Stille.
    ***
    Das schmerzerfüllte Weinen eines Kindes durchbrach das Schweigen und veranlasste Anki dazu, ihren eng geschnittenen Rock zu raffen und über das Parkett zu stürmen. Bei der Kinderschar angekommen schob sie sich energisch zwischen ihnen hindurch. Jelena lag mit Schweißperlen auf dem fahlen Gesicht und schmerzverzerrten Zügen vor der Statue am Boden und rührte sich nicht. Unsanft schob Anki auch Raisa beiseite und kniete sich neben die Kleine. »Jelena, wo tut es dir weh?«
    »Überall!«, keuchte das Kind.
    »Was ist geschehen?«
    »Ich bin gegen die Statue gefallen.«
    Anki betrachtete besorgt Jelenas linken Arm, den sie in einer eigentümlichen Schonhaltung hielt. Ob er gebrochen war? Vorsichtig berührte sie den Ellenbogen, bereitete aber damit dem Kind bereits unsägliche Schmerzen. Die Stimme von Anki zitterte vor Mitleid und Entsetzen, als sie dem Mädchen zuraunte: »Bleib liegen, meine Kleine. Wir lassen einen Arzt kommen.«
    »Was ist denn geschehen?« Fürstin Chabenski kniete sich ebenfalls hin und wollte ihrer Tochter ein Kissen unter den Kopf schieben, doch diese schrie erneut auf, weshalb ihre Mutter den Versuch sofort unterließ. »Vielleicht die Schulter …?«, flüsterte Anki und betete im Stillen, dass Gott das Kind vor inneren Verletzungen bewahren möge.
    »Sollen wir die Kutsche anspannen lassen?«
    Nachdenklich schüttelte Anki den Kopf. Sie schätzte die Haltung der Chabenskis, die es vorzogen, einen Arzt in den regulären Krankenhäusern aufzusuchen, statt ihn in ihr Haus zu rufen. Doch eine Fahrt über die holprigen Pflasterstraßen würde sicherlich grausame Schmerzen bei Jelena verursachen. »Jelenas Schmerzen erscheinen mir zu stark, als dass wir sie überhaupt bewegen sollten, Hoheit.«
    »Dann lasse ich nach einem Doktor schicken!«, entschied Fürstin Chabenski. »Mein Mann ist noch in seinem Arbeitszimmer. Er wird selbst reiten und den Arzt herbringen!«
    »Die Gäste, Hoheit«, flüsterte Anki und stellte erstaunt fest, wie besonnen sie trotz ihrer Sorge um das

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