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Sturmzeit

Sturmzeit

Titel: Sturmzeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Link Charlotte
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den Kopf: Jetzt merken sie es. Jetzt sehen sie, daß ich krank bin, jetzt haben sie begriffen, daß ich nicht mehr lange leben werde.
    Sie hatte ständig leichtes Fieber. Ihre Augen zeigten einen heißen Glanz, ihr Atem ging schwer, er war zu warm und roch süßlich. Etwas änderte sich während dieser Monate im Ausdruck ihres Gesichtes. Sie schien in sich zu versinken, nach innen zu lauschen; in ihrem Blick lag das Wissen, das Menschen erlangen, denen die Nähe des Todes bereits zeitweise Einsicht in andere Dimensionen erlaubt. Nachts quälten sie wirre Träume, die wie aus einer anderen Welt kamen. Sie hielten sie den halben Tag über gefangen und ließen sie stundenlang auf der schmalen Grenze zwischen Traum und Wachen balancieren. Jeden Nachmittag kam der Gutsverwalter zu ihr, um zu besprechen, welche Arbeiten in den nächsten Tagen getan werden mußten. Er war ein vierschrötiger, untersetzter Mannmit kalten Augen, der genau wußte, daß Belle ihn dringend brauchte, da er im Augenblick der einzige war, der das Gut führen konnte. Er liebte es, ihr Hiobsbotschaften zu bringen, wie etwa: »Sind wieder zwei unserer besten Zuchtstuten gestorben, wird bald bergab gehen mit uns!« oder nach dem Kriegseintritt der USA im April: »jetzt geht's Deutschland dreckig. Die werden zermalmt, und dann bleibt nichts mehr von ihnen übrig. Das finden Sie doch auch gut, oder?«
    Zu Anfang zeigte er noch einen gewissen Respekt vor der›jungen Baronin‹, aber mit feiner Witterung erkannte er bald, daß sie so stark nicht war, wie sie sich gab. Einmal fragte er sogar: »Haben Sie Fieber, Madame?«
    »Eine Erkältung, nichts weiter«, gab Belle zurück, »geht bald vorüber.«
    Der Mann grinste. Er hatte keine Ahnung, was mit der Frau los war, aber er roch den Tod.
    Schließlich nahm er nicht einmal mehr den Hut ab, wenn er in ihr Zimmer trat. Eines Tages unterließ er es sogar anzuklopfen. Belle hatte sich für einen Moment auf dem Sofa ausgestreckt und kämpfte beharrlich gegen eine Vielzahl schreiend bunter, wirrer, verrückter Bilder, die die Wirklichkeit zu verdrängen und von diesem Zimmer Besitz zu ergreifen drohten. Der Verwalter kam ihr im ersten Moment ebenfalls wie ein Trugbild vor, ein großer, dunkler Schatten, der sich drohend vor ihr aufbaute und lachend auf sie hinunterblickte. Dann begriff sie, und mit der ihr verbliebenen Kraft sprang sie auf, schlug die Arme um den Leib, weil das jähe Erwachen sie vor Kälte zittern ließ. »Was fällt Ihnen ein!« rief sie. »Verschwinden Sie!
    Machen Sie, daß Sie fortkommen. Und nächstens klopfen Sie an, wenn Sie was wollen!«
    »Schon gut«, brummte der Mann. Belle konnte den Haß in seinen Augen sehen, aber auch einen Anflug von Achtung, weil sie ihm bewiesen hatte, daß die Krankheit sie noch nichtwillenlos gemacht hatte. Er maß sie mit abschätzenden Blicken, dann grinste er und sagte: »Alles nur noch eine Frage der Zeit.«
    »Was meinen Sie damit?«
    »Die Tage der Deutschen in Estland sind gezählt, das ist es, was ich meine. Auf Wiedersehen, Madame!« Er verließ das Zimmer und stieß in der Tür fast mit Felicia zusammen. Mit einer ironischen Verbeugung ließ er sie vorbei.
    Felicia sah ihm nach. »War er wieder unangenehm?«
    Belle hob fröstelnd die Schultern. »Ja. Und das Schlimme ist, mit allem, was er sagt, hat er recht.«
    »Was sagt er denn?«
    »Daß unsere Tage gezählt sind. Die der baltischen Herrenschicht. Die Revolution wird das Land umstürzen und unser Leben. So wie hier gelebt wurde«, mit den Armen machte sie eine Geste, die Haus und Park und das Land meinte, »das geht nie lange gut. Zuviel Ausbeutung, zuviel Haß. Die Risse schließen sich nicht mehr.« Sie trat ans Fenster. Unten, vor der Veranda, erblühten purpurrot die ersten Pfingstrosen, durch den Kiefernwald am Ende des Parks leuchtete das Meer. Das Gras stand hoch und wiegte sich leise im warmen Wind. »Es wird Julius sehr treffen, wenn sie uns dieses Land hier wegnehmen.«
    »Vielleicht wird noch alles gut«, meinte Felicia, aber sie glaubte nicht, was sie sagte.
    »Du und die anderen«, fuhr Belle fort, »ihr solltet sehen, daßihr nach Deutschland kommt. Nach Hause.«
    »Nur mit dir, Tante Belle.«
    »Ich gehe nicht weg ohne Julius.«
    »Dann bleiben wir auch. Bei mir brauchst du dich doch nicht zu verstellen. Du bist krank. Glaubst du, da lass' ich dich allein?«
    Belle starrte noch immer zum Fenster hinaus, als wolle sie Sonne und Blühen dort draußen trinken. »Ich sage es dir

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