Sturmzeit
für mich nicht die leiseste Unsicherheit. Verstehst du, nicht in der Idee!
Vielleicht darin, ob man sie verwirklichen kann. Aber du solltest Menschen, die zweifeln, nicht unterschätzen. Sie sind nicht schwach. Vielleicht sind sie sogar stärker, weil sie für alles, was sie tun, viel mehr Kraft brauchen als die, deren Überzeugung nie einen Riß erleidet. Und nun«, Maksims Stimme wurde um eine Spur kühler, sein Gesicht erstarrte in derselben Kälte, die eben noch das von Felicia gezeigt hatte, »und nun zu dir. Du verlangst Ehrlichkeit, und du sollst sie haben. Du bist nicht ungefährlich für mich, ich gebe es zu, und ich will dir sagen, warum.« Er machte eine kurze Pause und suchte nach Worten. Felicia spürte, daß ihr Herz rascher schlug. »Du bist nicht ungefährlich für mich«, hatte er gesagt. Er hatte es gesagt! Sie mußte an sich halten, nichts von der Unruhe zu verraten, die sich ihrer bemächtigte. Jetzt nur keine Miene verziehen, keine Schwäche zeigen.
»Es gibt vier Gründe, weshalb du einen Reiz auf mich ausübst«, sagte Maksim, und seine Sachlichkeit war beinahe verletzend. »Einmal unsere gemeinsame Kindheit. Die Wälder und Seen von Ostpreußen, die Sommernachmittage, die Dämmerung... und niemand als wir beide... Das alles ist nicht zu vergessen, nicht in hundert Jahren.«
Wie gebannt hing sie an seinen Lippen. Ja, Maksim, du empfindest es auch so wie ich. Du kannst nicht vergessen!
»Zum zweiten«, fuhr Maksim fort, »bist du sehr schön. Kein Mann wird das abstreiten können. Du hast... unvergeßliche, aufregende und höchst eigene Augen, und du«, sein Blick umfaßte ihre Gestalt, »du geizt nicht mit deinen Reizen, nicht wahr?«
Sie lächelte, aber eine leise Verwunderung glitt über ihr Gesicht, das plötzlich sehr jung wirkte. Etwas war falsch. Er sprach zu kühl. Fast wissenschaftlich. Als erkläre er ein physikalisches Phänomen, und nicht...
»Der dritte Punkt ist, du hattest es von Anfang an auf mich abgesehen!« Maksim schien gänzlich ungerührt von dem Gift, das seine Worte enthielten. »Du hast nichts unversucht gelassen, mich zu verführen. Da du recht skrupellos bist, waren deine Methoden nicht gerade fein. Und ich bin auch nur ein Mann.«
»Maksim!« Das ging wirklich zu weit, aber er winkte nur ab.
»Kommen wir zu Punkt Nummer vier. Dies zu erklären, macht mir die meisten Schwierigkeiten, weil es eine Mauer zum Schwanken brachte, die ich für völlig uneinnehmbar hielt. Ich habe dich lange Zeit völlig falsch eingeschätzt. Unterschätzt, wenn du so willst. Ich hielt dich für eine ebenso blasse, kleine Puppe, wie es deine Freundin Linda ist. Aber das bist du nicht. Du bist egozentrisch und eigensüchtig, du kennst keine Ideale, du scherst dich einen Dreck um die Welt, und wenn du dich für etwas einsetzt, dann nur für deine Belange, aber das, meine Liebe, soviel muß ich zugeben, das tust du mit Eigensinn, Mut und vollkommen unabhängig von den Ansichten anderer. Wie ich's auch drehe und wende, ich komme nicht darum herum, daß du eine Persönlichkeit bist, und das wird niemand leugnen können, ob er dich nun haßt oder liebt.«
Sie lauschte wie benommen. Nie vorher hatte er so mit ihr gesprochen.
»Aber dann...« sagte sie und brach ab, als sie sein Gesicht sah. Es war völlig unberührt.
»Da du mich ja so genau kennst«, sagte er, »müßtest du wissen, daß all diese Gründe für mich nicht ausreichen, dich zulieben.« Auf einmal wirkte er sehr erschöpft. Die Blässe seines Gesichtes vertiefte sich. »Ich gehe nach Petrograd«, sagte er hart. Nie hatten seine Augen kälter und klarer auf Felicia geruht, nie abschätzender, und Felicia schoß es durch den Kopf: Gewogen und zu leicht befunden... Herrgott, wo kam das her... es fiel ihr nicht ein.
»Was lasse ich schon zurück!« sagte Maksim gleichgültig.
Felicia stand im Wintergarten des Hauses, draußen leuchtete ein Septembertag in bunten Farben, drinnen im Wohnzimmer, das gleich an den Wintergarten anschloß, saß Andreas am Klavier und begleitete Kat, die mit ihrer etwas unreinen Altstimme irgendein Liebeslied sang. Kat sah sehr hübsch aus. Es muß die Liebe sein, dachte Felicia mißgünstig. Sie selber trug einen alten schwarzen Rock vom letzten Winter, darüber einen grauen Pullover, ihre Haare hatten keinen Glanz, und ihr Gesicht war von unschöner Blässe. Hätte sie doch nur ein bißchen Creme für Hände und Lippen! Aber die Versorgung wurde täglich miserabler. Es gab nichts mehr von den
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