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Sturmzeit

Sturmzeit

Titel: Sturmzeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Link Charlotte
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Dingen, die das Leben früher angenehm gemacht hatten.
    In einem weißen Korbsessel zwischen zwei blühenden Rosenbäumchen saß Maksim. Seit einer Woche lag er nicht mehr im Bett, sondern bewegte sich im Haus, aber die gerade erst überstandene Krankheit machte ihm schwer zu schaffen. Mit verbissener Zähigkeit versuchte er, seine Muskeln wieder zu stärken und seinen Kreislauf zu kräftigen, aber er hatte ständig das Gefühl, in Schweiß gebadet zu sein und ein Flimmern vor den Augen zu sehen. Wie ein gefangenes Tier lief er durch alle Zimmer, beherrscht von der verzweifelten Gewißheit, daß sich anderswo die Geschicke des Landes entschieden und daß er nicht dabei sein konnte. Nach Petrograd, nach Petrograd - das war der Gedanke, der unablässig in seinem Kopf hämmerte und beinahe zur Besessenheit wurde. Aber er mußte gesund sein. Er mußte wenigstens etwas von seinen alten Kräften wiedergewinnen.
    »Willst du wissen, was du zurückläßt?« fragte Felicia unvermittelt. Er hob den Kopf. Sie sieht elend aus, stellte er fest. Ihre Lippen zitterten leicht, was sie vergeblich zu verbergen suchte. Plötzlich, ohne daß er es wollte, rührte ihn ihre Tapferkeit.
    »Wie bitte?« fragte er.
    Felicias Augen schienen übergroß. »Du läßt eine sterbende Frau zurück. Und ein zehnjähriges Mädchen. Dazu Kat und mich, die wir kaum ein Wort russisch sprechen. Und das alles mitten in diesem verfluchten Krieg!«
    »Wovon redest du? Wer stirbt?«
    »Belle. Ihr bleiben vielleicht keine vier Wochen mehr.«
    Maksim starrte sie an. »Ist das wahr?«
    »Ich würde es sonst nicht sagen. Belle ist krank. Sie ist schon lange krank. Es ist die Schwindsucht. Sie hat keine Chance mehr.«
    »Warum hast du keinen Ton gesagt?«
    »Du hast mich nie nach Belle gefragt.«
    »Ja, weil... weil, ich weiß nicht, ich hatte anderes im Kopf. Felicia...«
    »Maksim, du müßtest sie sehen. Sie hat sich aufgegeben. Sie spürt, daß jetzt... ach, Maksim, ich habe Angst. Ich habe so furchtbare Angst!« Sie kauerte neben ihm nieder, umfaßte seine Hände. »Du weißt, ich habe mich nie gefürchtet. Jedenfalls habe ich es nie gezeigt. Nicht einmal, als die Russen nach Lulinn kamen, und nicht, als sie uns in Galizien überfielen. Aber jetzt habe ich solche Angst, daß ich gar nicht mehr weiß, wie ich es vor Belle und Kat und Nicola verbergen soll. Belle wird sterben, und ich weiß nicht, wie gräßlich es sein wird und ob ich es durchstehe!« In aufkeimender Panik nahm ihre Stimme einenschrillen Klang an. Maksim neigte sich vor. Aus dem Wohnzimmer ertönte Kats unbekümmert jubilierende Stimme.
    »Sie ist ein Kind«, flüsterte Felicia, »sie ist verliebt, und sie denkt über das alles nicht nach. Ich bin wirklich ganz allein.«
    Voller Grauen hielt sie inne. Maksim begriff, daß sie nicht schauspielerte. Ihre Angst war echt.
    Weiß der Teufel, sie ist aber auch zu jung für das, was jetzt auf sie zukommt, dachte er.
    »Maksim«, sagte sie leise, »laß mich nicht allein. Bleib hier, bitte!«
    Er preßte die Lippen aufeinander, schloß die Augen. Er wollte ihr Gesicht nicht sehen. Weg mit der Weichheit, ging es ihm durch den Kopf, und: Pflichtgefühl und Verantwortung können wir uns nicht mehr leisten.
    Er war kein guter Revolutionär, würde es niemals sein. Nie hatte er sich so sehr gehaßt wie in diesem Moment. Felicia nie so gehaßt wie jetzt, da sie skrupellos an das Gute und Ehrenvolle in ihm appellierte und ihm damit die Erkenntnis aufzwang, daß er schwach war, armselig und schwach.
    »Ich bleibe«, sagte er. In seine Resignation mischte sich ein leiser Anflug von Ironie. »Diesmal hast du's geschafft. Ich bleibe.«

8

    »Sieben Gewehre mit Bajonetten und zehn Pistolen«, meldete Ilja, als er das Zimmer betrat, in dem Mascha über den Listen mit Waffenaufstellungen brütete. Er sah höchst kriegerisch aus, so über und über mit Waffen beladen. »Und es kommt gleich noch mal so viel.«
    Mascha sah hoch und drückte geistesabwesend ihre Zigarette auf einem Teller aus. »Gut. Wir verwandeln uns langsam aber sicher in die bestgerüstete Kaserne des Landes.« Sie notierte die neuen Waffen auf ihrer Liste.
    Ilja grinste. »Man kann über Trotzki sagen, was man will, aber ein hervorragender Organisator ist er wirklich.«
    »Stimmt. Aber der größte Witz an der ganzen Sache ist, daß wir unsere Wiederbewaffnung ausgerechnet der Rechten im Land zu verdanken haben. Die haben an ihrem eigenen Ast gesägt, und jetzt dauert es nicht mehr lange, und

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