Sturmzeit
Friedensschluß immer weiter hinauszuzögern. Was sie jetzt in Frankreich an Männern und Waffen verbrauchen, ist völlig sinnlos. Ich frage mich, ob Hindenburg und Ludendorff das erst dann begreifen, wenn die deutsche Armee bis auf den letzten Mann ausgerottet ist.«
»Abgesehen davon, spielen sie mit all dem nur den Sozialisten in die Hände«, meinte der andere, »mit jedem Tag, den der Krieg länger dauert, gewinnen die an Sympathie und Einfluß.«Laetitia, die das Gespräch mitangehört hatte, lächelte Felicia über den Tisch hinweg zu. »Ist Marakow immer noch ein überzeugter Sozialist?«
»Ja.«
»Ein interessanter Mann. Aber nun«, Laetitias graue Augen wurden ernst, »nun erzähl mir von Belle. Ich verspreche dir, ich weine nicht. Aber ich möchte alles wissen. Sie war mein liebstes Kind, weißt du. Sie und Leo. Und die beiden habe ich verloren.«
Felicia berichtete. Sie bemühte sich, so sachlich wie möglich zu bleiben. Dabei spürte sie selber einen Kloß im Hals. Sie beobachtete den feinen Staub, der im Licht der einfallenden Sonnenstrahlen wirbelte. Der Frühling, dachte sie, macht es noch schlimmer. Belle hat den Frühling so geliebt!
Nur ein einziges Mal zuckte etwas in Laetitias beherrschtem Gesicht; das war, als Felicia von Julius' Verhaftung berichtete. Doch sie hörte sich alles ruhig bis zum Ende an. Dann sagte sie:
»Du bist bei ihr geblieben am Schluß! Ich danke dir dafür, Felicia. Es bedeutet mir viel, das zu wissen. Und du hast die kleine Nicola sicher nach Deutschland gebracht. Alles in allem... bist du eine phantastische Person!«
»Nun, ich...« murmelte Felicia verlegen. Laetitia schob ihre Kaffeetasse zurück und setzte sich aufrecht hin. »Nun zu den Lebenden«, sagte sie, »genauer: zu deinem Onkel Victor. Seinetwegen wollte ich mit dir sprechen.«
Felicia runzelte die Stirn. »Was habe ich mit Onkel Victor zu tun?«
»Oh, ich denke, wir alle wünschten, wir hätten nicht allzu viel mit ihm zu tun. Aber seit dem Tod deines Großvaters gehört Lulinn ihm. Er ist der älteste Sohn.«
»Ja...«
»Er schafft es nicht. Das Gut überfordert ihn vollkommen. Natürlich, der Krieg hat die Dinge erschwert, aber nicht jeder hätte so oft die Nerven verloren wie Victor. Noch kann ich manches abfangen, aber«, sie lächelte fein, »jeder Tag, der vorübergeht, nimmt mir ein wenig Kraft. Meine Zeit neigt sich ihrem Ende zu.«
»Großmutter...«
»Doch, Kind. Und dank dieses Irrsinns, in den sich die Welt gestürzt hat, ist die nachkommende Generation reichlich dezimiert. Ich weiß nicht, in wessen Hände ich Lulinn geben soll. Victor spielt mit dem Gedanken, es zu verkaufen.«
»Was?« Felicia erschrak so sehr, daß sie fast schrie. Einige andere Gäste drehten sich nach ihr um. Sie senkte ihre Stimme.
»Was?«
»Von seinem Standpunkt aus betrachtet, bietet sich überhaupt nur diese Möglichkeit an«, sagte Laetitia mit jenem vernünftigen Ausdruck auf dem Gesicht, den sie stets annahm, wenn sie die eigenen Emotionen überlisten wollte, »so wie er sich anstellt, muß er das Gut ohnehin in ein paar Jahren verkaufen, nur diktieren dann andere die Preise.«
»Ja, aber Großmutter! Lulinn verkaufen! Es ist unsere Heimat!«
»Wessen Heimat? Außer mir leben nur Victor und seine unausstehliche Familie dort. Die Familie hat sich zerstreut - wer davon noch lebt!«
»Aber ich brauche Lulinn.«
»Du wirst nach München zurückgehen.«
»Nein«, sagte Felicia fest. Laetitia sah sie überrascht an. »Ich meine«, führte Felicia aus, »ich gehe nach München, aber nur, um Alex zu sagen, daß wir uns nie wiedersehen werden.«
»Bist du sicher?«
»Ja.«
Laetitia schnalzte mit der Zunge. »Ich fürchte, das wird eine stürmische Unterredung.«
»Vielleicht. Aber am Ende gehen wir jeder eigene Wege. Und ich«, es war ein Gedankenblitz, aber mit einem Schlag bekam die Zukunft wieder einen Anflug von Farbe, »ich komme dann nach Lulinn. Zusammen schaffen wir es!«
»Ja ja. Bloß... wenn wir Victor aus dem Spiel katapultieren wollen, müssen wir ihn auszahlen. Es wäre daher ganz gut, wenn...«
»Wenn ich Geld mitbringen könnte?«
»Dein Alex ist steinreich, was man so hört!« Sie warf ihrer Enkelin einen verschwörerischen Blick zu. Die fing ihn auf und nickte ratlos.
»Man wird ihn wohl zu einigen Jahren Zwangsarbeit in Sibirien verurteilen«, sagte Mascha und klappte die Akte zu, die vor ihr lag. Aus kühlen Augen musterte sie ihr Gegenüber. »Ich kann nichts tun.«
Nina, im
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