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Sturmzeit

Sturmzeit

Titel: Sturmzeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Link Charlotte
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Haferflockenpamps aus den letzten Vorräten gekocht und unter der Schürze hinübergeschmuggelt. Nicht einmal davon hatte Mascha einen Bissen angerührt.
    »Du wirst nicht gesund, wenn du nichts ißt, Mascha!«
    Mit Anstrengung öffnete Mascha die Augen. »Ich werde sterben, Elisabeth. Ich fühle mich sehr schwach. Aber es ist nicht schlimm.«
    »Nicht schlimm? Du hast recht, es ist das Natürlichste von der Welt, aber es ist kein Kunststück. Jeder kann sterben, aber das Phantastische ist, daß man leben kann. Es ist ein Geschenk, Mascha, wirklich.«
    »Es ist ein Verhängnis.«
    »Nicht, wenn du deinen Willen nicht aufgibst.«
    Mascha erwiderte nichts, aber ihre müden Augen baten um Verständnis dafür, daß sie die Kraft, so zu denken wie Elisabeth, nicht mehr finden konnte. Elisabeth aber erklärte, sie werde es nicht zulassen, daß Mascha aufhörte zu tun, was sie immer getan hatte: zu kämpfen.
    »Du ißt und trinkst jetzt«, sagte sie, »und morgen, ganz gleich wie du dich fühlst, arbeitest du in der Küche bei mir. Ich kann dich hier nicht allein lassen mit deinen morbiden Gedanken. Du bleibst so lange unter meiner Aufsicht, bis du es begriffen hast.«
    Durch den Nebel von Müdigkeit drangen die Worte wie halbverlorene Fetzen an Maschas Ohr, formten sich mühsam zu einem Sinn.
    »Was soll ich begreifen?»«
    »Du sollst begreifen, daß du leben willst«, sagte Elisabeth.

    Kat kam auf Skollna an in einem Augenblick, als dort Aufregung und Verwirrung ihren Höhepunkt erreicht hatten. Der alte Lavergne, Benjamins Vater, hatte sich am Tag zuvor aufgemacht, das Grab seiner Frau zu besuchen, war dabei, wie es jetzt häufiger geschah, von einer Verwirrung überfallen worden, hatte auf dem Rückweg die Orientierung verloren und war nach Insterburg marschiert, wo er mehrere Wirtshäuser aufgesucht hatte und schließlich in einem Bordell gelandet war. Die Mädchen hatten ihn freundlich aufgenommen, ihm zu essen und zu trinken gegeben und ein Zimmer zum Übernachten. Am nächsten Morgen hatte Lavergne seine Identität wiedergefunden. Er ließ ein Taxi kommen und fuhr zurück nach Skollna, wo die Polizei mit der Spurensuche begonnen und sein Sohn Benjamin eine schlaflose Nacht verbracht hatte. Knechte und Mägde liefen wie aufgescheuchte Hühner durcheinander.
    »Guter Gott, Vater, wo warst du?« rief Benjamin. Der alte Lavergne vertrat die Ansicht, daß man in seinem Alter keine Hemmungen mehr zu haben brauchte. »Bei Madame Rosa«, erklärte er laut. Madame Rosa war allgemein bekannt. Benjamin wurde totenblaß, einer der Knechte pfiff anerkennend, die Mägde preßten kichernd die Hände auf den Mund. Mitten in das allgemeine Durcheinander erklang die Hupe des zweiten Taxis, mit dem Kat eintraf.
    »Das reinste Tollhaus!« sagte Minerva, während Felicia Mund und Nase aufsperrte und ungläubig fragte: »Kat? Wo, um Himmels willen, kommst du denn her?«
    »Wieso hast du auf keines meiner Telegramme reagiert?«schnappte die erschöpfte Kat.
    »Vielleicht sollte man besser die Kinder ins Haus bringen«, meinte Benjamin, der sich von den Worten seines Vaters noch nicht erholt hatte und um den Seelenfrieden der kleinen Mädchen bangte.
    »Welche Telegramme?« erkundigte sich Felicia ahnungslos.
    »Welche Telegramme? Willst du damit sagen, daß du keine von den Nachrichten bekommen hast, die ich dir geschickt habe?«
    »Nein. Ist denn irgend etwas passiert?«
    »Ja. Halt dich bloß fest. Ich fürchte, Wolff hat dich ausgebootet. Wahrscheinlich besitzt du im Augenblick schon nicht mal mehr den Bruchteil einer Aktie von unserem Geschäft.«

    In den frühen Abendstunden gestand Benjamin alles. Er tat es fast mit Erleichterung. Seit seiner Kindheit war er unfähig gewesen zu lügen; und Felicia zu hintergehen, hatte ihn in eine Not gestürzt, von der er im nachhinein glaubte, sie sei schlimmer gewesen, als es der Schmerz um eine Trennung hätte sein können. Allerdings nicht schlimmer als das, was ihn jetzt erwartete. Felicia geriet vollkommen außer sich; seine gestammelten Entschuldigungen fegte sie beiseite und weigerte sich, die Verzweiflung zur Kenntnis zu nehmen, die aus ihnen sprach.
    »Wie konntest du nur! Wie konntest du das tun! Du wußtest, was die Fabrik mir bedeutet, du wußtest, wie ich gearbeitet und gekämpft und gerechnet habe, um sie zu erhalten. Ich hatte dir auch erzählt, wer Wolff ist und daß ich mich vor ihm in acht nehmen muß wie der Hase vorm Fuchs. Von Anfang an hat er es darauf angelegt, mich zu

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