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Sturmzeit

Sturmzeit

Titel: Sturmzeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Link Charlotte
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Grauen um.
    »Diese Menschen... ich kann ihre Begeisterung nicht verstehen. Sie sind ja wie irr!«
    »Ja, sie haben auf diese Stunde gewartet«, entgegnete Alex nachdenklich, »nichts ist rauschhafter als das Gefühl der Einigkeit. Lieber gemeinsam sterben, als allein leben. Sie können die Streiks vergessen, die Sozialisten, den Hunger. Ihr Patriotismus eint sie, und wie die hilflosen Küken laufen sie vor allen Schwierigkeiten des Alltags davon unter die wärmenden Federn des bedrängten und doch so stolzen Vaterlandes!«
    »Aber der Krieg dauert nicht lange, nicht wahr?«
    Alex zog die Augenbrauen hoch. »O nein«, meinte er lustig,
    »das sagen sie doch alle. Keine acht Wochen. Und bis dahin wollen wir uns den Sommer nicht verderben lassen.«
    Er wich einem alten Mann aus, der die Hand aufhielt und etwas von einer Spende für den Sieg murmelte.
    »Waren Sie schon im Freibad draußen in Wannsee? Noch nicht? Oh, dann wird es höchste Zeit. Wollen wir morgen zusammen hingehen? Ich denke nicht, daß Ihre patriotischeGesinnung darunter leiden wird!«

    Felicia stapfte müde über die Wiesen von Lulinn und schlang sich im Gehen die Haare zu einem Knoten. Ihr Nacken war schweißnaß, und das Kleid klebte an ihrem Körper. Sie trug enge Lackschuhe, aber jetzt beugte sie sich mit einer entschlossenen Bewegung hinab, zog sie aus und behielt sie in der Hand. Es war einfach zu heiß. Sie war fast eine Stunde gelaufen, um zu dem kleinen, verborgenen Stall in den Wäldern zu gelangen, einer Jagdhütte, in der sie zwei Pferde versteckt hatte, denen sie nun täglich Wasser und Heu bringen mußte. Jedesmal, wenn das laute Wiehern sie begrüßte, lobte sie ihre eigene Schlauheit. Gerade rechtzeitig, ehe deutsche Truppen nach Lulinn kamen und alle Pferde beschlagnahmten, war es ihr gelungen, die beiden kräftigsten fortzuschaffen: Man mußte ja höflich zu den Truppen sein und behaupten, es als Ehre zu empfinden, Pferde für den Kampf zu geben, aber in Wahrheit war Felicia entrüstet über diese »Diebstähle«, wie sie es nannte. Was sollten sie tun, wenn sie plötzlich fliehen müßten? Die alten Klepper nehmen, die man ihnen gelassen hatte? Nein, sie hatte vorgesorgt. Es gab die Pferde im Wald und hinten in der Scheune einen, vorsichtshalber mit Stroh getarnten, Leiterwagen. Seither konnte Felicia besser schlafen, wenn sie auch die Vorstellung, plötzlich eine Abteilung Russen die Allee entlangkommen zu sehen, äußerst beunruhigend fand. Wie alle anderen hatte sie die Ereignisse der letzten Wochen voller Angst verfolgt und sich von aller Welt abgeschnitten gefühlt. Nachrichten bekamen sie oft nur von Flüchtenden aus weiter östlich gelegenen Gebieten, die mit Wagen und Pferden und Ziegenherden an Lulinn vorbeikamen und sich dort ausruhten. Die Deutschen hatten bei Stallupönen eine Schlacht gewonnen, bei Gumbinnen aber verloren, und offenbar gab es unter den deutschen Generälen heftige Streitereien.
    »Prittwitz und François können sich nicht auf eineeinheitliche Order einigen«, hatte gestern ein verwundeter Soldat gesagt, »wenn der eine blau sagt, sagt der andere grün, und alles ist durcheinander.«
    Heute früh waren wieder Soldaten zurückgekommen, hatten um einen Schluck Wasser gebeten und berichtet, daß General Prittwitz ausgetauscht werden sollte. »Sie holen Ludendorff von der Westfront. Und irgendeinen pensionierten General haben sie auch noch aufgetrieben. Ich glaube, er heißt Hindenburg oder so ähnlich.«
    »Können Sie etwas über die Westfront sagen?« fragte Laetitia gespannt, aber der Soldat schüttelte den Kopf. »Kaum etwas. Die Franzosen leisten wohl mehr Widerstand als erwartet. An Ihrer Stelle würde ich übrigens das Gut verlassen. Wir sind so ziemlich die letzten Truppen.«
    Laetitia blieb kühl. »Wir können nicht. Mein Mann ist sehr krank. Er würde eine Flucht nicht überstehen.«
    »Sie sind sehr mutig.«
    Was bleibt uns auch anderes übrig, dachte Felicia nervös. Ich frage mich wirklich, warum sie die Russen so tief ins Land lassen!
    Ihr fiel das Schlagwort ein, das General François bei Kriegsbeginn geprägt hatte: »Kein Slawe wird deutschen Boden betreten!«
    Großartig, und nun kamen sie in Scharen. Felicia mußte fast immerzu an die vielen scheußlichen Geschichten denken, die man ihr erzählt hatte. Auch heute, als sie Lulinn von fern erblickte und es so still und wie leblos in der Sonne lag, ging ihr Herz in jähem Schrecken schneller. Waren die Russen dagewesen, während sie fort

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