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Sturmzeit

Sturmzeit

Titel: Sturmzeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Link Charlotte
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war? Doch dann beruhigte sie sich wieder. Über den Hof liefen ein paar Hühner, irgendwo schnatterte eine Gans. Die würden sicher nicht mehr leben, wären die Feinde schon da. Aber - weshalb war alles so ruhig? Trotz ihrer Erschöpfung lief Felicia das letzte Stück rascher. Keine Menschenseele ließ sich blicken. Sie stieß die Haustür auf.
    »Jadzia!« rief sie, aber niemand kam. In plötzlicher Panik schrie sie: »Großmutter! Großmutter, wo bist du?«
    Von oben erklangen Schritte. Laetitia erschien auf der Treppe.
    »Oh, Felicia, gut, daß du kommst. Ich fing an, mich ein wenig einsam zu fühlen.«
    »Wo sind sie denn alle, Jadzia, die anderen Mädchen, die Knechte? Es ist so still...«
    »Sie sind alle fort«, erwiderte Laetitia, »sie haben die Nerven verloren. Wir sind jetzt allein.«
    Die Worte klangen seltsam eindringlich durch das hohe Treppenhaus. Felicia lauschte ihrem Klang nach und versuchte, ihre Bedeutung zu erfassen, und auf einmal spürte sie, wie sich ihr Gesicht bis in die Lippen hinein entfärbte.
    Laetitia eilte die Treppe hinunter und nahm ihren Arm. »Kind, du wirst mir doch nicht umfallen? Du hättest doch diesem verschlüsselten Telegramm aus Berlin folgen sollen. Wenn du noch gehen willst, dann...«
    »Nein.« Felicia kam wieder zu sich. »Natürlich bleibe ich. Mir war eben nicht gut... die Hitze draußen, weißt du...«
    Laetitia lächelte, setzte sich auf die unterste Treppenstufe und erklärte wie so oft, Felicia sei wirklich ihre Enkelin, das könne sie in Situationen wie dieser sehen, denn die Abkömmlinge ihrer Familie seien immer loyal gewesen.
    Felicia ließ sich auf einen Stuhl fallen. »Ach, Großmutter, wie lieb von dir, das zu sagen. Aber ich fürchte, ich bin nicht so edel, wie du meinst. Ich bin eine richtig selbstsüchtige Person, und ich...«
    »Natürlich bist du das. Ich bin es auch, und deine Mutter ist es und deine Tante Belle... aber wir sind es auf eine andere Weise als die dicke, dumme Modeste. Modeste wird immer ein Blattim Winde sein, umgetrieben von ihrer eigennützigen Gier, dabei eine Sklavin ihrer Bequemlichkeit. Sie ist eine kleine Tyrannin, aber wir - wir haben äußerst herrschsüchtige Triebe. Doch wir haben auch Verantwortungsgefühl und Mut. Wenn wir etwas lieben, dann stellen wir uns davor und verteidigen es bis zum letzten Blutstropfen, nicht aus Edelmut, sondern weil wir ganz genau wissen, daß wir am leichtesten die beherrschen, die wir beschützen. Das ist es doch auch, warum wir hiergeblieben sind, nicht?«
    Sie brach ab und lauschte nach oben.
    »Hat Großvater gerufen? Ich sehe mal nach ihm!« Rasch lief sie die Treppe hinauf. Felicia folgte ihr.
    Ferdinand Domberg wirkte ganz verloren in dem großen Bett. Seine schmalen Hände, die durchsichtig waren wie feines Pergament, fingerten unruhig an der Decke herum. Sein Gesicht hatte eine gelbliche Farbe angenommen, und die Augen waren braun umrandet. Erst als sich Laetitia über ihn beugte, entspannten sich seine Züge, trat Klarheit in seinen Ausdruck.
    »Laetitia«, flüsterte er und versuchte vergeblich, die Hand zu heben. Sein Atem ging flach, doch wenn Laetitia vor seinen bläulichen Lippen erschrak, so zeigte sie es nicht. Sie lächelte sanft, und er hing an ihrem Lächeln, als wolle er sich daran festklammern.
    Er ist vollkommen abhängig von ihr, dachte Felicia fasziniert, er ist es immer gewesen.
    Zaghaft trat sie näher. Ihr todkranker Großvater schüchterte sie mehr ein, als es der kerngesunde, stets so leichtsinnig fluchende und tobende je getan hatte. Mit dem alten, polternden Tyrannen hatte sie umzugehen gewußt. Doch jetzt hatte er sich verändert, und Krankheit hatte sie immer erschreckt und verunsichert. Mit Schwäche wußte sie nichts anzufangen.
    »Kann ich... kann ich irgend etwas für dich tun?« flüsterte sie. Der Großvater wandte den Kopf und sah sie matt an. Feliciawar nicht sicher, ob er sie überhaupt erkannte. »Fenster«, murmelte er, »öffne das Fenster!«
    Sie trat ans Fenster und stieß weit die beiden Flügel auf. Sofort flutete drückend heiße Luft ins Zimmer, eine stickige Schwüle, in der die Rosen aufdringlich süß dufteten und einen schweren, einschläfernden Geruch verströmten. Die Bienen summten laut durch den stillen, heißen Nachmittag, kein Grashalm, kein Blatt rührte sich.
    Felicia drehte sich um. »Es wird ein Gewitter geben«, sagte sie, »es ist so totenstill draußen, daß...« Sie stockte, lauschte in die Stille hinein. »Hörst du nicht?«

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