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Sturmzeit

Sturmzeit

Titel: Sturmzeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Link Charlotte
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seine Pistole, die aus dem Krieg, wissen Sie, der gnädige Herr war ja an der Ostfront, und neben seinem Kopf ist ganz viel Blut...«
    Die Dienstmädchen hatten das Zimmer aufgeräumt und geputzt, es waren keine Spuren jenes dramatischen Abends geblieben. Felicia kauerte sich auf das Sofa, zog die Beine fest an sich und umschlang sie mit ihren Armen. Sie fror in ihrem dünnen, schwarzen Kleid und in dem kalten Zimmer, in dem noch immer der Geist der toten Susanne lebte - und die Aura einer schrecklichen Tat. Irgendwie gehörten sie zusammen, Susanne, ihr Zimmer, Benjamin. Wieder meinte sie Minervas aufgeregte Stimme zu hören: »Ich wußte gleich, daß der Schuß aus dem Zimmer der gnädigen Frau kam...«
    Sie wußte es gleich. Als hinge Benjamins Schicksal mit diesem Zimmer zusammen, mehr als mit irgend etwas anderem. Aber es hing auch mit ihr zusammen, dachte sie mit harter Ehrlichkeit.
    So saß sie, ließ die Minuten verrinnen und versuchte zum ersten Mal, den Mann zu verstehen, den sie zehn Jahre zuvor geheiratet hatte.
    Als sich leise die Tür öffnete und Laetitia wie ein Schatten hineinhuschte, hob sie den Kopf. »Großmutter? Du bist noch hier? Warum bist du nicht mit den anderen zurückgefahren?«
    »Ich dachte, du könntest mich brauchen.« Sie setzte sich neben die Enkelin, und Felicia legte den Kopf an ihre Schulter.
    »Wenn ich dich nicht hätte! Es ist so wundervoll, daß du immer alles verstehst.«
    »Weil wir einander sehr ähnlich sind, Felicia.«
    »Ich bin viel schlechter als du. Ich habe...«
    »Nein, nein. Zähl jetzt nicht deine Untaten auf, sonst wird mir schwindelig«, sagte Laetitia, die eine Flut von Selbstvorwürfen ahnte und fürchtete, die wenigsten davon widerlegen zu können.
    »Es nützt nichts!«
    »Großmutter!« Felicias Augen waren dunkel vor Kummer und Angst. »Großmutter, die ganzen letzten Jahre habe ich mir nur immer gesagt, daß ich nicht stehenbleiben und hinsehen darf, weil ich es sonst nicht aushalte. Ich wußte, würde ich anfangen nachzudenken, würde ich weinen müssen, um Vater und Christian, Tante Belle und Leo, darum, daß nichts wahr geworden ist von dem, was ich für mein Leben haben wollte. Ich hab' es geschafft, ich bin nie stehengeblieben. Aber jetzt kann ich nicht weiter. Es ist zu Ende. Ich muß hinsehen, und ich kann es nicht ertragen. Benjamin ist tot, durch meine Schuld, und wer sollte mich denn jemals davon freisprechen?«
    »Niemand. Aber zwei Dinge solltest du bedenken: Zum einen wird ein Selbstmörder nicht allein durch die Verfehlungen seiner Umwelt zur Tat getrieben. Es ist in ihm, von Anfang an. Welche Eigenschaft ist es, die den einen Menschen aushalten, den anderen kapitulieren läßt? Ein interessantes Problem, und wie du es drehst und wendest, du wirst nur darauf kommen, daß die Lösung im Menschen selber liegt. Woanders findest du sie nicht. Und das andere: Bevor du dich jetzt hinsetzt und dich mit spitzen Klauen zerfleischst, solltest du die Aufrichtigkeit deiner Reue überprüfen. Nach allem, was geschehen ist, würdest du anders handeln? Auf deine Geschäfte verzichten, deine Reisen, auf das lärmende, funkelnde Berlin? Auf Maksim Marakow und eure zweifellos beneidenswert stürmischen Nächte?«
    »Großmutter, bitte, ich...«
    »Du würdest nicht verzichten. Du würdest nichts anders machen. Du würdest dir jetzt genauso nehmen, was du willst, wie du das vorher getan hast, du würdest nur ein bißchen jammern dabei. Und dies alles bedenkend, kannst du eigentlich das Jammern auch getrost streichen.«
    »Du... bist so unbarmherzig...«
    »Nein. Ich versuche nur, die Dinge sachlich zu sehen. Was ist geschehen? Zwei Menschen haben geheiratet, die nicht zueinander paßten. Du hast das mit einer gewissen Kaltblütigkeit getan, weil du sehr genau wußtest, daß du nicht die Frau warst, die er sich erträumte. Er wußte nichts, er tappte in diese Ehe mit der Gläubigkeit eines Kindes, das nicht weiter sieht als bis zu den Grenzen seiner Welt. Aber er war kein Kind, verstehst du? Er war erwachsen, und was immer du auf dich nehmen willst - du brauchst ihm nicht die Verantwortung eines erwachsenen Menschen für sich selber zu erlassen.«
    »Ich war die Stärkere. Ich hätte...«
    »Du hättest ritterlicher sein können. Freilich. Aber weißt du, ich habe es satt, daß an den Tragödien dieser Welt immer die Starken schuld sein sollen, nur weil sie es dann und wann versäumen, die Schwachen an die Hand zu nehmen.«
    »Ich hab' ihn schlecht behandelt«,

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