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Sturmzeit

Sturmzeit

Titel: Sturmzeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Link Charlotte
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beharrte Felicia, aber sie merkte schon, wie sich Laetitias Worte kühl und besänftigend über ihr aufgewühltes Gemüt legten.
    »Hat er dich glücklich gemacht?« fragte die alte Dame zurück, und als Felicia den Kopf schüttelte, brummte sie: »Eben. Du warst mit ihm ebensowenig glücklich wie er mit dir, nur bist du damit fertig geworden. Ich will dir etwas erzählen: Irgendwann, vor längerer Zeit, war er bei mir auf Lulinn, und er jammerte und klagte und wollte wissen, ob es einen anderen Mann für dich gibt, und plötzlich dachte ich: Du armer Junge, meine Felicia ist deine Tragödie. Doch das stimmte gar nicht. Seine Tragödie hat vor dir begonnen, sie liegt hier begründet, in diesem Zimmer, in dem er seinem Leben ein Ende gesetzt hat.«
    Laetitia sah sich um, ihre Augen blieben an denen von Susannes Bild hängen. »Er war nicht lebensfähig. Ein Vogel, dem nie Flügel gewachsen sind.«
    Felicia seufzte. Es klang klug und vernünftig, was Laetitia sagte, aber in irgendeiner Ecke ihres Herzens blieb ein nagender Zweifel zurück. Sie konnte die Geschehnisse nicht wegwischen. Benjamin war ihr immer fremd gewesen, aber es blieb als Wahrheit bestehen, daß ein Mensch, der sich an sie gebunden hatte, zum Schluß nur noch den Weg sah, sein Leben wegzuwerfen.
    »Ich muß jetzt damit leben«, sagte sie leise und verzweifelt. Laetitia musterte sie scharf. »Du kannst damit leben. Was ist?
    Gehst du zu Marakow zurück?«
    »Maksim verläßt Deutschland. Er will in die Sowjetunion. Mascha wird frei sein im nächsten Jahr.«
    In Laetitias alten, klugen Augen flackerte etwas auf, eine mit Schmerz gepaarte Erkenntnis. Mit rauhen Fingern umfaßte sie Felicias Hand. »Na, siehst du. Man bittet dich schon zur Kasse. Du brauchst dich nicht selber zu quälen, die Schulden bucht ein anderer für dich ab. Für deine Art zu leben, zahlst du auch deinen Preis, und glaub mir, liebes Kind, er wird hoch genug sein.«

4

    29. Oktober 1929. Die Wall Street brodelte. Zu Füßen der wolkenhohen Bankhäuser drängten sich die Menschen, Autos hupten, die Pferde der berittenen Polizei wieherten, Schreie hallten von den Mauern wider. Hysterie erfüllte die enge Straßenschlucht. Die protzigen Wagen der Großaktionäre bahnten sich mühsam ihren Weg. Immer mehr Polizisten zogen auf.
    Der Dollar stürzte.
    Er stürzte seit Donnerstag vergangener Woche. Auf die ersten Panikverkäufe an der Börse hatten die Banken noch blitzschnell reagiert, indem sie einen Notfonds einrichteten und einen Agenten der J. P. Morgan Jr. Bank entsandten, für insgesamt 240 Millionen Dollar Unmengen an Aktien zum alten Kurs zu kaufen. Sie erreichten damit eine trügerische Stabilisierung, die am Montag zusammenbrach. An diesem Dienstag nun stürzten die Kurse mit solcher Geschwindigkeit, daß die Anzeigentafeln in der Börse mit dem Aufzeichnen nicht mitkamen. Der tödliche Kreislauf drehte sich von Minute zu Minute schneller. In den New Yorker Polizeirevieren liefen die Nachrichten von den ersten Selbstmorden ein.
    »Was wir hier sehen«, sagte Jack Callaghan zu Alex, »ist der Zusammenbruch eines goldenen Jahrzehnts. Seit dem Krieg zum zweiten Mal das Ende der Welt. Jetzt beginnt die Talfahrt.«
    Er hatte sich mit Alex und Patty in die Wallstreet begeben, um Zeuge jener dramatischen Szenen zu werden, von denen das Radio seit dem frühen Morgen in Sondersendungen berichtete. Er fand nicht unbedingt Vergnügen an dem, was er sah, aber er konnte nicht umhin, sich einer gewissen inneren Zufriedenheit hinzugeben. Seine Strategie war richtig gewesen, ihm drohten kaum ernstzunehmende Verluste.
    »Schrecklich, Daddy«, sagte Patty, die einen weißen Chiffonschal um den Kopf trug und mit den großen Augen einer schönen Puppe in die tosenden Massen sah, »die armen Menschen. Dort hinten ist gerade eine Frau ohnmächtig geworden.«
    »Ja, hier gehen Existenzen zugrunde«, meinte Alex, »kein sehr erhebender Anblick. Und es ist ja nicht nur New York. Die ganze Welt wird schwanken.«
    »Ich bin gespannt, was die dreißiger Jahre bringen«, sagte Jack. »Im Grunde beginnen sie wohl gerade jetzt in diesen Tagen. Ich wittere Katastrophen, Alex, und meine Witterungen haben mich nie getäuscht.«
    »O Gott, Dad, hör auf! Ich will jetzt nach Hause! Ich finde das alles hier zu schrecklich!«
    Callaghan riß sich sichtlich schweren Herzens los, aber Alex unterstützte Patty und beharrte ebenfalls darauf, möglichst rasch heimzufahren. »Ganz ungerupft gehen wir auch nicht aus«,

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