Sturmzeit
sein größter Reiz lag in seinem schnell wechselnden Ausdruck.
»Alex ist mit Vater in die Fabrik gefahren«, berichtete sie,
»dort muß der Teufel los sein. Die ganze Textilindustrie hat auf Uniformen umgestellt, und täglich werden Flugblätter an die Arbeiter ausgegeben, die sie zu Höchstleistungen antreiben. DasVaterland braucht jetzt alle Kraft!« Sie kicherte. »Ich müßte eigentlich in der Schule sein. Aber ich hatte keine Lust. Ich wollte lieber mit dir reden. Warum hast du meinen Bruder geheiratet?«
Felicia, die gerade in eine knusprige Marmeladensemmel beißen wollte, hielt überrascht inne. »Weil ich... naja, weil...«
Kat lachte hell. »Kennst du ihn überhaupt richtig?«
»Nein. Eher gar nicht.«
Kat runzelte nachdenklich die Stirn. »Ich kenne ihn auch nicht. Er ist sehr schwer zu verstehen. Manchmal denke ich, er hat den Tod unserer Mutter nie verwunden. Danach begann für ihn eine sehr harte Zeit.«
»Mit seinem Vater versteht er sich nicht besonders, wie?«
»Versteht sich nicht besonders? O Gott, ich sage dir, in ganz München gibt es keine zwei Menschen, die sich so sehr hassen wie diese beiden!«
»O...«
»Vater droht immer, Alex zu enterben, und Alex tut nur, wovon er weiß, daß Vater es nicht will. Vater ist ein schrecklicher Tyrann, und...« Sie wurde unterbrochen von dem Hausmädchen, das ins Zimmer trat. Es reichte auf einem silbernen Tablett eine Visitenkarte. Kat las sie und schrie leise auf.
»Tom Wolff? O nein, Fanny, ich will ihn nicht sehen! Sag, daß ich Migräne habe, oder wieder eine Nervenkrise, oder...«
«Meine Liebe, wie schön, Sie so gesund und froh zu sehen«, sagte eine Stimme. Kat und Felicia fuhren herum. Der Besucher, ein großer, etwas zu schwerer Mann im grauen Straßenanzug, stand bereits in der Tür. »Verzeihen Sie, wenn ich hier einfach eindringe, aber nachdem ich nun dreimal vergeblich gekommen bin und Mademoiselle Fanny mir immer wieder von Ihrem desolaten Zustand berichtete, wollte ich mich nun dochpersönlich davon überzeugen, daß Sie wenigstens noch unter den Lebenden weilen. Ein bißchen blaß sind Sie ja um die Nase, aber sonst... bezaubernd, einfach bezaubernd!«
Kat machte ein unnahbares Gesicht.
Der Mann wandte nun seinen Blick zu Felicia hin. Felicia merkte, daß er sehr helle, fast blasse Augen hatte und eine Art, Menschen so intensiv anzustarren, daß sie sich eines Gefühles von Ekel nicht erwehren konnten.
»Tom Wolff«, stellte Kat mit kühler Stimme vor, »die Konkurrenz. Er besitzt ebenfalls eine Textilfabrik. Und das ist Felicia, meine Schwägerin.«
»Ah... ich wußte gar nicht, daß Alex einen so guten Geschmack hat!«
Niemand erwiderte etwas darauf. Wolff räusperte sich.
»Ich bin gekommen, um Kassandra zum Ball am Wochenende einzuladen. Das Komitee der Kriegshilfe der Münchener Industrie veranstaltet ein Tanzfest. Der Erlös geht an unsere Soldaten.«
Kat hob gelangweilt die Augenbrauen. »Ich weiß. Aber ich gehe bereits mit jemand anderem dahin. Sie sehen, Herr Wolff, Sie haben sich umsonst bemüht.«
Tom Wolff wurde blaß. Felicia beobachtete mit Vergnügen, wie unbeherrscht sich seine Finger zusammenkrampften und wieder öffneten. Sie fing ein amüsiertes Lächeln von Kat auf. Sie spielt gern mit den Männern, dachte sie, und da sie diesen Zug an sich selber kannte, fühlte sie Sympathie für das junge Mädchen. Dann fiel ihr ein, daß für sie die Zeit des Flirtens vorüber war, und ihre Lippen preßten sich zusammen. Sie würde mit keinem Mann mehr spielen. Und kein Mann würde sie reizvoll finden, denn sie konnte nichts mehr versprechen. In plötzlich unerwartet heftigem Neid wünschte sie sich an Kats Stelle.
Eine ungemütliche Stille hatte sich in dem Zimmer ausgebreitet. Wolff hielt den Kopf beinahe demütig gesenkt, aber Wut und Ärger lauerten in seinem Gesicht. »Könnte ich beim nächsten Ball um Ihre Begleitung bitten?« fragte er leise. Kat schien einen Moment zu überlegen. »Nein«, erwiderte sie,»nein, das glaube ich nicht.«
Die Tür ging auf, und Alex trat ein. Er wirkte überrascht.
»Wolff, sieh an«, sagte er, »was führt Sie zu uns?«
»Das hat sich schon geklärt«, entgegnete Tom Wolff gepreßt. Alex winkte dem Hausmädchen. »Fanny, begleiten Sie unseren Besucher hinaus. Leben Sie wohl, Wolff!«
Dies, das wußte Felicia, war der Gipfel der Unhöflichkeit. Lästige Handelsvertreter höchstens setzte man so unverfroren vor die Tür.
»Ihr könnt ihn nicht ausstehen, oder?«
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