Sturmzeit
wohl früher zu deinen Verehrern, wie? Da ist etwas zwischen euch...«
Felicia wußte, daß der Alte sie provozieren wollte, und lächelte. Doch Alex stellte klirrend sein leeres Glas ab und ging zur Tür.
»Deine Anzüglichkeiten waren schon weniger plump, Vater, und wesentlich raffinierter«, sagte er und verließ das Zimmer.
»Also, wir gehen jetzt hinein«, bestimmte Felicia. Sie stand mit Sara und Linda hinter der Flügeltür, die zum großen Saal führte, und spähte durch einen Spalt in das Getümmel. Wie immer, wenn Kat etwas wollte, hatte sie auch diesmal durchgesetzt, daßalle ihre Wünsche erfüllt wurden. Es gab eine eigene Kapelle, die auf einem kleinen Podest am Ende des Saals postiert war, und eine Gärtnerei hatte Blumen geliefert. Rosen blühten vor den Fenstern; Margeriten, Levkojen, blutroter Mohn und duftender Jasmin ragten aus allen Vasen. Wo es nur Platz gab, standen Kerzenleuchter, große, einarmige goldene Halter, zwölfarmige aus altem Silber, dazwischen solche aus weißem Porzellan, von porzellanen Blütenranken umschlungen. Es gabrote und honigfarbene Kerzen und dazwischen, mit Wachs unauffällig in kleinen Vasen oder Tassen befestigt, die deutsche Fahne in allen Größen - als kleiner Papierwimpel ebenso wie als gewaltiger, von Auguste selber gehäkelter Wandbehang, der zwischen die beiden hohen Bogenfenster an der Längsseite des Raumes gespannt worden war. Am Kopfende hing ein Porträt des Kaisers im silbernen Rahmen, getreu den Nationalfarben mit roten, weißen und schwarzen Seidenblüten geschmückt. Darunter saßen des Kaisers Streiter. Es war eine etwas klägliche Schar, wie zerrupfte Krähen anzusehen, hohläugig und blaß, in viel zu weite Uniformen gekleidet, die wie alte Säcke um die mageren Körper herumschlabberten. Sie hatten sich aus dem Lazarett hierhergeschleppt, um endlich wieder einmal etwas Abwechslung zu finden, sich zu amüsieren und hübsche Mädchen zu sehen.
Viele bewegten sich nur an Krückstöcken oder mußten von einer Schwester im Rollstuhl geschoben werden, andere trugen einen Arm in der Schlinge oder hatten einen breiten Verband um die Stirn. Hier und da blitzten abenteuerliche schwarze Piratenklappen über verletzten Augen auf, aber die bleichen Gesichter darunter zeigten keinen Ausdruck der Verwegenheit. Die Frauen hatten sich so schön wie möglich zurechtgemacht, um die Männer die Erinnerung an vergangene und die Angst vor kommenden Schrecken vergessen zu lassen. Natürlich litt auch die Textilindustrie bereits unter Engpässen, aber man konnte ja alte Kleider auftrennen und neue daraus arbeiten. Die Mode war seit Kriegsausbruch wieder sehr weiblich geworden: tief ausgeschnittene Kleider, schmale Taillen und weite schwingende Röcke, die mit Spitzen und Rüschen besetzt waren und beim Tanzen wie bunte Flügel um die Trägerinnen herumflogen. Diese »Kriegs-Krinoline«, wie mancher sie spöttisch nannte, war Ausdruck eines radikalenBewußtseinswandels, der seit dem August 1914 eingesetzt hatte. Frauenbewegung und Reformfragen traten in den Hintergrund,viele Frauen nahmen begeistert die alte Rolle wieder an: Mütter, Frauen, Schwestern und Bräute der Soldaten wollten sie sein und ihnen jeden Tag neu beweisen, mit welchunerschütterlichem Glauben sie ihnen, ihrem Mut, ihrer Überlegenheit vertrauten.
Was Felicia betraf, so gefiel ihr die neue Mode, weil sie ihre schlanke Taille und ihre schönen Schultern zur Geltung brachte. Sie hatte natürlich auch auf einem neuen Kleid bestanden - fliederfarbener Georgette mit einer Reihe echter Brüsseler Spitze am Saum -, und zum erstenmal seit langer Zeit hatte sie wieder das Gefühl, sich wirklich zu amüsieren. Es gab noch genügend Soldaten, die unverletzt waren und tanzen konnten, und mit ihnen zu flirten, fiel heute abend unter die patriotische Pflicht. Die Matronen saßen in einer Ecke, fächelten sich Luft zu, da der Juliabend von drückender Schwüle war, und spielten unverdrossen und mit unverminderter Begeisterung das Spiel: Wie vermeide ich französische Wörter und ersetze sie durch deutsche?
Pflichtschuldig hatte Felicia geglaubt, sie müsse wenigstens den ersten Tanz mit Alex tanzen, aber der lehnte mit gekreuzten Beinen und verschränkten Armen an der Wand und betrachtete, zwar amüsiert, doch distanziert, das Leben und Treiben um ihn herum. »Nein, nein, heute abend mußt du dich ganz unseren tapferen Kriegern widmen«, sagte er, »sieh nur diesen hübschen, blassen Jungen da drüben, der dich
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