Sturmzeit
Kiefer fuhr und sie vor Entsetzen verstummte.
»Halt deinen Mund! Halt deinen Mund, oder ich vergesse meine guten Manieren, und das heraufzubeschwören, würde ich mir an deiner Stelle gut überlegen!«
Aber die hast du ja schon vergessen, dachte sie empört, während ihr Tränen der Wut und Angst in die Augen stiegen.
»Jetzt hör mir gut zu«, fuhr er leise fort, »ich habe dir vor unserer Heirat gesagt, daß ich mich in dir nicht täusche, und so kann ich jetzt nicht gut gekränkt sein, wenn ich dich in Marakows Armen erwische, obwohl ich es anständiger fände, wenn ihr eure Rendezvous nicht ausgerechnet in meinem Haus abhalten würdet. Verzehr dich ruhig weiter nach ihm, aber«, seine Stimme wurde leiser, seine Aussprache noch akzentuierter, »aber gnade dir Gott, wenn du dich noch einmal, noch ein einziges Mal, hinter meinem Rücken mit meinem Vater zusammentust! Verbünde dich mit dem Satan, wenn du willst, schließe Freundschaft mit sämtlichen Ausgeburten der Hölle, aber noch eine solche Intrige mit meinem Vater, und du wirst es bitter bereuen, das kann ich dir versprechen!« Er trat einen Schritt zurück, sein Gesicht entspannte sich. Mit ruhigen Händen zündete er sich eine zweite Zigarette an. Wären nicht die Bartstoppeln gewesen und die Ringe unter seinen Augen, es hätte ihm niemand mehr etwas angemerkt.
Felicia konnte wieder gleichmäßig atmen. Ihre Hände ließen die Sessellehne los, an der sie Halt gesucht hatten. »Spiel dich nicht so auf«, sagte sie, so klar und furchtlos und selbstverständlich, wie sie einst den russischen Soldaten auf Lulinn eine dreiste Erwiderung hingeschleudert hatte, »ich tu' ja doch, was ich will!«
Alex sah sie überrascht an, Ungläubigkeit im Blick, dann warf er seine Zigarette auf den Tisch - langsam verglomm sie auf der gläsernen Platte - und zog Felicia in seine Arme; sie wehrte sich, aber diesmal kämpfte sie vergeblich, die Hände, die sie hielten, waren zu stark. Aus Alex' Augen war der Zorn gewichen, was jetzt in ihnen stand war Begehren, ohne Zärtlichkeit und ohne Liebe, eine so unverfälschte, unverblümte Gier, daß sie erschrocken seufzte - sie mußte plötzlich an puren Whisky denken, der in der Kehle brennt, so schmerzhaft, daß man vor dem ersten Schluck Angst hat und ihn sich doch nicht versagen kann.
»Laß mich los«, sagte sie heftig, »bist du verrückt geworden? Laß mich sofort los!«
Er beugte sich über sie, sie versuchte, beide Arme gegen seine Brust zu stemmen, er sah sie an - und dann, plötzlich, hatte sienicht mehr den Wunsch, sich zu wehren.
Nur widerwillig fand Felicia in die Wirklichkeit zurück, begegnete den Sonnenstrahlen, die matt und rötlich durch das Fenster fielen und ihr zeigten, daß der Nachmittag langsam in den Abend überging. Von der Straße her erklangen gedämpft die Flüche eines Bierkutschers.
Sie richtete sich auf und zerrte den bis zur Taille hinauf verknäulten Rock wieder über ihre Beine hinunter, schlüpfte in ihre Schuhe und strich sich über die Haare. Sie erhob sich von dem kleinen Rokoko-Sofa und suchte zwischen den Kissen nach ihren Ohrringen. Alex saß mitten im Zimmer in einem Sessel, die Beine übereinandergeschlagen, und rauchte eine Zigarette. Auf einmal ergrimmte sie seine Gelassenheit. »Du bist wahnsinnig«, sagte sie, »wenn jemand gekommen wäre!«
Gleichmütig atmete er den Rauch aus. »Die Tür ist abgeschlossen.«
»Trotzdem... man hätte uns hören können. Herrgott, wo sind denn meine Ohrringe geblieben?«
Sie mußte schließlich unter das Sofa tauchen, um ihre Ohrringe zu finden, und die Situation, wie sie dort zwischen Wollmäusen auf den Knien liegend herumkroch, erweckte Widerwillen in ihr. Es kam ihr alles so billig vor, und am meisten erboste es sie, daß Alex mit ihr umsprang, wie es ihm gerade in den Sinn kam.
Mit vor Zorn ungeschickten Fingern befestigte sie endlich den Schmuck, und in ihrem Wunsch, Alex' provozierenden Gleichmut zu erschüttern, sagte sie plötzlich scharf: »Ich gehe fort!«
Alex blieb unbewegt. »Wirklich? Wohin denn?«
»Nach... nach...«
»Zu deiner Mutter am besten. Junge Frauen kehren gern weinend in den Schoß der Mutter zurück, wenn sie sich in ihrer Ehe unglücklich fühlen.«
Genau das hatte Felicia vorgeschwebt, Berlin oder Lulinn, Elsa oder Großmutter, irgendein Winkel, in den sie sich zurückziehen und sich verhätscheln lassen konnte. Aber natürlich, Alex brachte es immer fertig, alles mit Schmutz zu bewerfen, und nun kam es ihr
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