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Sturmzeit

Sturmzeit

Titel: Sturmzeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Link Charlotte
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später für immer mit dem schrillen Mißklang, in dem Clara beim hohen C an ihre Grenzen stieß.

8

    Noch Jahre später sah Felicia die nun folgenden Tage wie in ein dunstiges Licht getaucht. Wie Schattenfiguren bewegten sich die Menschen an ihr vorbei, und schmerzlich empfand sie eine Distanz zwischen sich und ihnen, die sie aus keinem Abschnitt ihres Lebens vorher kannte. Eine neue Empfindsamkeit machte sie scheu; jedes Licht schien ihr zu hell, Stimmen zu laut, die Dunkelheit bedrohlich und fremd. Alles beobachtete sie von fern: Alex, der sich noch in derselben Nacht fürchterlich betrank und von der entsetzten Fanny am nächsten Morgen unrasiert und in einer Wolke von Alkoholdunst quer über einem Sofa in der Bibliothek gefunden wurde.
    Jolanta, die einen Entsetzensschrei nach dem anderen ausstieß, als sie die geplünderte Geldschale im Salon entdeckte. Sara, die nicht aufhörte, den anderen mit ihrer Rot-KreuzSchwester Idee auf die Nerven zu gehen. Linda, der auf einmal der Gedanke kam, ihr Kind müsse unbedingt in Berlin zur Welt kommen, die aber beim Anblick der hoffnungslos überfüllten Züge auf dem Münchener Hauptbahnhof einen solchen Schrecken bekam, daß sie schleunigst umkehrte und in Tränen aufgelöst erneut in der Prinzregentenstraße erschien.
    Und wieder Alex, der am Tag nach dem Ball wortlos seine Koffer packte, ein Taxi kommen ließ und davonfuhr. Felicia hatte keine Ahnung, wohin er verschwand, bis Jolanta ihr erklärte, daß es ein kleines Holzhaus am Starnberger See gebe, das der Familie gehöre und in das sich Alex schon immer zurückgezogen habe, wenn er allein sein wollte.
    Phillip meldete ein Telefongespräch nach dem anderen nach Frankfurt an, ohne von Severin, dessen Bruder schließlichgeschlagene drei Wochen brauchte, um zu sterben, etwas anderes als die stereotype Antwort zu bekommen: »Ich kann das nicht hier am Telefon entscheiden, Herr Oberleutnant. Besuchen Sie uns in Ihrem nächsten Urlaub wieder, dann sprechen wir über Sie und meine Tochter!«
    Kat schien auf einmal sehr angespannt und bestürmte Phillip jeden Tag, mit ihr nach Frankfurt zu reisen und Severin die Pistole auf die Brust zu setzen, ohne daß Phillip seine zögernden Vorbehalte - »Wir können ihn doch jetzt nicht so bedrängen, wo gerade sein Bruder stirbt...« - aufgegeben hätte. Die Extrablätter berichteten triumphierend von der deutschen Eroberung Litauens, Polens und des Kurlandes, und Jolanta schimpfte ununterbrochen über die sich täglich verschärfenden Rationierungsmaßnahmen.
    Das klarste Bild bot wohl noch Kat, die am Ende der Woche mit steinernem Gesicht sagte: »Ich kann nicht gegen mein Gefühl an, daß das die erste und letzte und einzige Gelegenheit war, die Phillip und ich hatten.«
    Und dann mußte Phillip zurück an die Front.
    Linda wurde morgens beim Frühstück von ihren Wehen überrascht.
    »Ich bekomme mein Kind«, sagte sie, und zum Beweis stöhnte sie theatralisch.
    Ein großes Durcheinander setzte ein, denn Linda hatte in all den Monaten sämtliche Hausbewohner davon überzeugt, daß das große Ereignis der wichtigste Moment im ganzen Jahr sei und daher gebührende Beachtung verdiene.
    »Hier, halt dich an meinem Arm fest«, bot Felicia an, »kannst du noch laufen?«
    Linda nickte und biß sich auf die Lippen.
    »Möchtest du vielleicht in mein Zimmer?« fragte Kat. »Es ist kühler und schattiger als deines.«
    »Ich weiß nicht... ja... nein. Ich will in mein Zimmer. Oh, seid froh, daß ihr nicht wißt, wie das ist!«
    Darauf konnten sie alle nur betreten schweigen. »Sara, sag doch Fanny Bescheid, daß sie den Arzt holen soll«, bestimmte Felicia und dankte angesichts von Lindas bleichen Lippen Gott heimlich dafür, daß er sie bislang mit dieser Tragödie verschont hatte. »Beeil dich! Du weißt, es wird eine sehr schwierige Geburt!«
    Am späten Nachmittag war das Kind da, ohneKomplikationen und ohne daß Linda vor Schmerzen ohnmächtig geworden wäre, wie sie es in ihren schwarzen Stunden vorausgesehen hatte.
    »Es ist ein Junge«, sagte der Arzt, als er auf den Gang hinaustrat, wo Felicia, Kat und Sara mit verstörten Gesichtern warteten, »es gab nicht die geringsten Probleme. Mutter und Kind sind kerngesund und kräftig.«
    »Na, bitte«, sagte Felicia, »dann war es ja keineswegs ein solches Drama!« Wie meistens in den letzten Wochen sah sie blaß und müde aus. Der Arzt, ein alter Freund der Familie, faßte sie unter das Kinn und hob prüfend ihr Gesicht. »Sie gefallen

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