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Sturmzeit

Sturmzeit

Titel: Sturmzeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Link Charlotte
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selber peinlich vor, nach Hause zu gehen und jeden wissen zu lassen, daß sie vor ihrem Mann davongelaufen war. »Nein«, sagte sie daher, »nicht zu meiner Mutter. Was sollte ich da? Ich werde...« Sie überlegte angestrengt; dann schoß ihr ein Gedanke wie ein Blitz durch den Kopf, und ehe sie gründlicher darüber hätte nachdenken können, verkündete sie bereits triumphierend: »Ich gehe als Schwester an die Front!«
    Immerhin war es ihr tatsächlich geglückt, ihn zu erschüttern, wenn auch nicht ganz so, wie sie sich das erhofft hatte. Nach einigen Sekunden verblüfften Schweigens lachte Alex laut. Er lachte, als habe er soeben den besten Witz seines Lebens gehört.
    »Ach, du großer Gott«, sagte er, »Himmel, nein, das ist gut! Daßdu darauf verfällst, hätte ich dir wirklich nicht zugetraut!«
    Er stand auf und ergriff seinen Hut, der noch immer über dem Kerzenleuchter hing. »Weiß der Teufel, Felicia, du bist das Umwerfendste, was ich kenne. An die Front! Nimm es mir nicht übel, aber«, das Lachen schüttelte ihn, »mit einem heiligeren Herzen hat wohl nie eine Frau der guten Sache gedient!« Er setzte den Hut auf. »An die Front... Felicia im Lazarett, bei Blut und Läusen und Ruhr... also, wenn ich's nicht selber gehört hätte, ich würde es nicht glauben!«
    Immer noch lachend verließ er das Zimmer.

II. BUCH

1

    Es war Februar, und ein kalter Wind wehte durch die Straßen von Berlin. Wer vor die Tür mußte, zog seinen wärmsten Mantel an, schlang wollene Tücher um den Kopf und band einen Schal vor Mund und Nase. Die Leierkastenmänner, die durch die Hinterhöfe zogen, trugen dicke Handschuhe, die Kinder, die hinter ihnen herliefen, hatten rote Nasen und blaue Lippen. Die Kohle war knapp und Holz ebenfalls schwer zu bekommen. Die Schlangen vor den Lebensmittelgeschäften wurden täglich länger, und da und dort wurden bereits wieder die Stimmen der Sozialisten laut und mit ihnen die Stimmen der Kriegsmüden. 1916 - und noch kein Ende des Krieges in Sicht.
    Elsa saß in einem Lehnstuhl im Wohnzimmer. Im Ofen brannte ein Feuer, aber es war nur klein, weil das Dienstmädchen die Kohlen sparsam nachlegte. Die Fensterläden knarrten im Wind. Elsa hatte einen breiten Mohairschal um ihre Schultern geschlungen und sah klein und wie zusammengefallen aus.
    Ihr Bruder Leo, der am Bücherregal stand und angelegentlich die Titel auf den Buchrücken studierte, drehte sich zu ihr um. Zum hundertsten Mal an diesem Tag hatte Elsa das Gefühl, sie werde sich nie an seinen veränderten Anblick gewöhnen. Zu Leo gehörten welliges, viel zu langes, schütteres Haar, eine silberfarbene zweireihige Weste, ein dandyhafter Anzug und die unvermeidliche Papierrose am Revers. Dieser Leo nun, in der grauen Soldatenuniform und mit kurzgeschnittenen Haaren, wirkte so unglücklich, daß es einem das Herz zerreißen konnte. Ein Schauspieler, dem eine falsche Rolle zugeteilt war und der sich einen Abend lang, zur Qual der Zuschauer und zu seiner eigenen, bemühte, seinen Part auf irgendeine Weise über die Bühne zu bekommen. Es konnte ihm nicht gelingen. FürUniformen war er nicht gebaut.
    »Ich an deiner Stelle würde zu Mutter nach Lulinn fahren«, sagte er, »du siehst so hungrig aus. Daheim kriegst du wenigstens genug zu essen.«
    »Ach, Leo...«
    »Ich weiß, Victor und Gertrud gehen dir auf die Nerven. Und die halslose Modeste. Aber Berlin... ohne deine Familie wirkst du so verloren in der großen Stadt!« Er kniff sie zärtlich in die Nase. »Hör einmal auf deinen kleinen Bruder!«
    »Kleiner Bruder...« Ihr Blick glitt wehmütig über seine Uniform und blieb am Gürtel mit der Pistole hängen. »So klein auch wieder nicht!«
    »Ja, nicht wahr, das Feldgrau verleiht mir Würde? Leopold Domberg, ergebener Diener Seiner Majestät des Kaisers!«
    Er knallte die Hacken zusammen, hob grüßend die Hand an die Mütze. Sein stets etwas melancholischer, weicher Mund verzog sich zu einem gequälten Lächeln. Die schlaffen Wangen zuckten. Die tiefen Falten unter seinen runden Augen mit den hängenden Lidern traten an diesem Tag noch deutlicher hervor als sonst. Er schmiß sich in einen Sessel und legte die Beine auf den Tisch, eine Unart, die Elsa, wie er wußte, zutiefst mißbilligte, ihm aber stets mit einem zärtlichen, nachsichtigen Lächeln erlaubt hatte. »Daß die mich tatsächlich noch einziehen würden! Mich alten Mann! Ich hätte es im Leben nicht geglaubt!«
    »Du bist nicht alt. Noch keine Vierzig!«
    »Ja, aber

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