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Sturmzeit

Sturmzeit

Titel: Sturmzeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Link Charlotte
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hatte sie sich ihren Untergebenen gegenüber noch nie erlaubt. Sie stand auf, trat auf Olga zu und schlug ihr mit aller Kraft ins Gesicht.
    »Du hattest keine andere Aufgabe als die, auf mein Kind aufzupassen«, sagte sie, »du bist eine faule, nachlässige Schlampe. Du kannst gehen und brauchst niewiederzukommen!«
    Olgas Augen flammten. »Diese Sitten sind auch bald vorbei«, sagte sie, ehe sie das Zimmer verließ. Nina eilte hinter ihr her. Draußen hörte man beide Mädchen eifrig miteinander reden. Belle faßte sich mit beiden Händen an die Schläfen. »Ich... mußsofort losgehen und sie suchen«, sagte sie wie zu sich selbst,»wo kann sie hingelaufen sein? Diese Unmenschen werden doch einem Kind nichts tun...«
    Felicia und Kat hielten sie jede von einer Seite fest.
    »Tante Belle, du kannst jetzt nicht auf die Straße gehen«, rief Felicia, »hör doch, wie sie überall schießen! Es ist viel zu gefährlich!«
    »Meine Nicola ist da draußen!«
    »Wir werden Sie begleiten, Madame«, sagte Kat, »auf keinen Fall lassen wir Sie allein gehen.«
    Felicia starrte sie an. Wirklich, Kat hatte manchmal ihre fünf Sinne nicht beieinander. Wie konnte sie einen so absurden Vorschlag machen?
    »Würdet ihr das wirklich tun?« fragte Belle. »Aber bitte - kein deutsches Wort! Versprecht es mir. Man ist auf die Deutschen hier nicht gut zu sprechen.«
    Die drei Frauen zogen ihre Mäntel an und stülpten ihre Pelzmützen auf den Kopf. Felicia wußte, daß sie sich nicht gut ausschließen konnte. Sie folgte den anderen hinaus auf die Straße.
    Die Luft war kalt und trocken, der Schnee knirschte unter den Füßen. Die Straße lag seltsam ausgestorben, auch das Klingeln der Straßenbahn fehlte, die sonst hier vorbeifuhr. Viele Menschen hatten sich verbarrikadiert, andere waren aufs Land geflohen. Das Knattern der Gewehre klang beängstigend laut durch die Stille.
    Eine Polizeipatrouille hatte die Brücke über die Neva abgeriegelt. Belle fragte jeden einzelnen Mann nach Nicola, aber keiner konnte ihr etwas sagen. Es waren viele Menschen hier vorbeigekommen in den letzten Stunden, sicher auch Kinder, aber »im übrigen, Madame, hätte ich an Ihrer Stelle dafür gesorgt, daß mein Kind überhaupt nicht erst auf die Straße gerät - in solchen Zeiten!«
    Olga ist wirklich eine Schlampe, dachte Felicia erbittert. Sie hüllte sich fester in ihren Mantel und hauchte in ihre Hände. Siehatte die Handschuhe vergessen, und es war sehr kalt heute. In der Ferne sahen sie einen Zug von Demonstranten. Rote Fahnen, wohin man nur blickte. Entschlossen schlug Belle diese Richtung ein. »Sie ist immer Menschen nachgelaufen«, erklärte sie, »wahrscheinlich ist sie mittendrin.«
    »Als ob es nicht Wahnsinn wäre, in einer Stadt wie dieser ein Kind zu suchen«, murmelte Felicia: Neben ihnen schlug ein Pflasterstein auf dem Boden auf. »Das ist die Frau von Oberstleutnant von Bergstrom!« keifte eine Frau. »Sie ist eine Deutsche! Eine Spionin! Eine Verräterin!«
    Belle streifte das Gesicht der anderen voller Gleichgültigkeit.
    »Proletariat«, sagte sie geringschätzig. Dann fügte sie hinzu:
    »Haben Sie vielleicht mein Kind gesehen? Ein kleines, schwarzhaariges Mädchen, neun Jahre alt!«
    Die Frau warf den Kopf zurück und lachte schallend. Sie konnte sich kaum mehr beruhigen, schien dicht vor einem hysterischen Anfall zu stehen. Felicia betrachtete sie voller Grauen. War dies das Gesicht der Revolution? In ihrer naiven Vorstellung hatte einer Revolution immer etwas Romantisches angehaftet, aber nun... mehr und mehr schien alles einem Alptraum zu gleichen.
    Sie vernahmen ein lautes Krachen von weither, und plötzlich schlugen über der Stadt Flammen und Rauch in den Himmel.
    »Oh, Gott, was ist das?« schrie Kat entsetzt. Die Demonstranten, die sie aus der Ferne gesehen hatten, stürmten auf die Brücke zu. Sie schrien etwas, das Felicia nicht verstand.
    »Was rufen sie, Tante Belle?«
    »Der Justizpalast brennt. Das Feuer da, das ist der Justizpalast. Lieber Gott, Nicola!« Belle schrie den Namen ihrer Tochter wieder und wieder. Ein Polizist umklammerte ihren Arm. »Sie sollten schleunigst fort von hier, Madame. Es kracht gleich ganz furchtbar!«
    Die Demonstranten hatten die Brücke erreicht. Steine flogen,ein Schuß fiel. Felicia fühlte sich von der Wucht der heranwogenden Menge zur Seite gerissen und gegen das Brückengeländer gepreßt. Gütiger Himmel, die bringen mich um, schoß es ihr durch den Kopf. Tief unter ihr glitzerten

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