Sturz Der Engel
für den richtigen Ort für Herren und Fürsten und so weiter. Sie wollen nicht verschwinden, aber spätestens im Frühjahr werden sie gehen müssen.«
»Wenn sie sowieso gehen müssen, warum lässt du sie dann jetzt noch bleiben?«
»Die Einheimischen sollen erst dann etwas über uns erfahren, wenn wir unser Leben hier besser geordnet haben. Bisher sind die Einzigen, die wieder fort durften, diejenigen, die voller Angst vor unseren Waffen geflohen sind, sowie ein paar Händler, die allerdings keine Einzelheiten auskundschaften konnten. Ich möchte, dass es eine Weile so bleibt. Und außerdem können wir von Narliat und Relyn noch einige Dinge in Erfahrung bringen.« Ryba zuckte mit den Achseln. »Relyn wird vielleicht ein oder zwei Kinder zeugen und er scheint auch recht gescheit zu sein.«
Der Ingenieur rieb sich das Kinn. »Du bist schwanger, genau wie Siret und Ellysia. Ist das nicht ein bisschen viel für unsere kleine Zahl?«
»Drei oder vier von achtzehn – Hryessa nicht mitgezählt –, das ist nicht viel. Fast alle werden gegen Ende des Frühlings wieder kämpfen können. In Westwind werden die meisten Kinder ohnehin im Winter oder im Vorfrühling geboren.«
Die ruhige Gewissheit, mit der Ryba sprach, ließ Nylan einen Schauer über den Rücken laufen, der kälter war als der Wind. »Vier?«, fragte er.
»Ich glaube, auch Istril ist schwanger«, erklärte Ryba.
»Istril? Sie kommt mir aber nicht wie jemand vor, der einfach so herummacht.«
»Ich kann mich auch irren«, räumte Ryba ein. »Ich bin mir bei diesen Dingen nicht immer sicher. Aber früher oder später wird sie schwanger sein.«
»Aber von wem?«
»Ich kann nicht alles sehen, Nylan. Im Augenblick bin ich nur mit der Gabe gesegnet oder verflucht, einige Blicke auf das erhaschen zu können, was möglicherweise eintreten wird. Das ist schon schlimm genug. Mehr als genug.«
»Es tut mir Leid.«
»Weißt du eigentlich, wie es ist, wenn man Ausschnitte der Zukunft sehen kann, während man doch nie sicher ist, ob es tatsächlich so kommen wird? Oder ob man die Zukunft vielleicht sogar dadurch Wirklichkeit werden lässt, dass man auf die Bilder reagiert?«
Nylan räusperte sich. »Ich habe doch gesagt, dass es mir Leid tut. Mir war nicht bewusst, dass es so aussieht.«
Ryba starrte die Steinwand neben Nylan an. »Du hast mit Steinen, mit Ziegeln und Metall zu tun – mit Dingen, die fest und stabil sind. Ich kämpfe damit, für die kommenden Generationen ein sicheres Leben zu gewährleisten. Was mache ich mit Männern, die Mörder sind? Oder mit denen, die gehen oder gehen könnten?«
»Die Vorstellung, ich könnte hier weggehen, gefällt mir überhaupt nicht.« Nylan setzte sich neben die dunkelhaarige Frau und legte ihr die Hand auf die Schulter. »Ich habe keine einfachen Antworten. Ich tue, was ich kann, und ich mache alles, was mir einfällt, so gut wie möglich.«
»Ich weiß, Nylan. Du leistest genug für zwei. Du hast Dinge getan, die ich nicht für möglich gehalten hätte, und ohne dich hätte Westwind nicht entstehen können. Aber ohne Traditionen und Werte und so weiter, die Dinge eben, die alles zusammen halten, kann eine Gemeinschaft nicht überleben. Deshalb brauchen wir deinen Turm ebenso wie Ayrlyns Lieder …«
»Und deine Fähigkeit, durch Training und Vorbild militärische Stärke zu erzeugen?«
Ryba nickte. »Es wird hart werden.«
»Es ist jetzt schon schwer.«
»Es wird noch schlimmer«, prophezeite sie, während sie zum kalten Gipfel Freyjas hinausschaute. »Viel schlimmer.«
Am Ende lagen sie dicht nebeneinander und nach einer Weile war Ryba leidenschaftlich, fordernd und warm. Aber wie üblich musste sie wieder aufstehen, bevor sie sich richtig entspannt hatten.
»Musst du weg?«, protestierte er schläfrig.
»Es gibt einige Dinge, besonders jetzt, die ich nicht kontrollieren kann.« Sie streifte sich das Nachthemd über und tappte die Steintreppe hinunter.
Während er gegen Erschöpfung und Müdigkeit ankämpfte, versuchte Nylan, herauszufinden, was ihn an ihren Worten gestört hatte … aber er kam nicht darauf.
Bevor er eine Antwort oder den Schlaf gefunden hatte, kam Ryba wieder herauf und glitt neben ihm auf die Liege. Mit kühler Hand streichelte sie einen Augenblick lang seine Stirn. »Du bist ein guter Mann, Nylan. Was auch immer passiert, vergiss das nicht.« Sie drückte seine Schulter.
Er drückte zur Antwort ihre Hand und murmelte: »Ich weiß, dass du für uns alle dein Bestes gibst.«
Sie
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