Sturz Der Engel
weiter.
»Er ist also aufgebracht.« Er holt tief Luft und atmet langsam aus. »Es ist wahr und du kannst nichts anderes sagen. Ich bin dankbar für deine Einschätzung der Lage, aber … aber ich verbitte mir selbst indirekte Anspielungen auf Ehre und Erbe. Dies sind wie gesagt Gedanken, denen man am besten in der Abgeschiedenheit eines Turmes nachhängt.«
»Ja, Sillek. Du hast deinen Standpunkt deutlich vorgebracht und du bist der Herr von Lornth.« Ellindyja neigt noch einmal den Kopf.
Sillek verabschiedet sich mit einem knappen Nicken und geht zur Tür. Draußen prasselt wieder ein Regenschauer auf die Dächer nieder.
Als die Tür geschlossen ist, lächelt Ellindyja traurig und murmelt: »Und dennoch, du kannst dich nicht dem entziehen, was die Ehre dir gebietet.«
Die Sticknadel blitzt und der dritte Bogen des Diadems entsteht auf der weißen Unterlage.
XXXIV
W enn die Läden des großen Saales geschlossen waren, erzeugte das Feuer im Herd, jedenfalls in der nächsten Umgebung, eine beinahe gemütliche Atmosphäre für Ryba und die Marineinfanteristinnen, auch wenn sie nicht mehr als die verschlissenen Borduniformen trugen. Narliat klagte zwar beharrlich über die Kälte, aber Nylan weigerte sich, den neuen Heizofen in Betrieb zu nehmen, zumal die Warmluftkanäle in den einzelnen Stockwerken noch nicht fertig waren. Außerdem war es noch gar nicht sehr kalt und er machte sich Sorgen, das Feuerholz könnte womöglich nicht über den Winter reichen.
Nylan trug die Jacke seiner Borduniform offen, genau wie Ayrlyn und Saryn. Relyn und Narliat hatten sich in ihre dicken Mäntel gewickelt und saßen unmittelbar rechts neben dem Kochherd, mit dem Rücken zu den Kohlen und den brennenden Holzscheiten.
Zwei dicke Kerzen – zwei der wenigen, die Ayrlyn und Narliat hatten eintauschen können – flackerten auf dem Tisch. Die Kerzen und das Kochfeuer warfen ein zitterndes Licht in den großen Saal. Die Ecken des Raumes blieben genauso dunkel wie der Bereich vor der Treppe. Nylan konnte auch ohne gutes Licht alles sehen, aber das galt nicht für die meisten anderen, die angestrengt blinzelten, sobald sie sich in die dunkleren Bereiche des Saales wagten.
Ayrlyn hatte eine Kerze dicht vor Relyns Armstumpf gezogen, weil dieser sich beklagt hatte, der Arm sei von Chaos durchsetzt.
»Von Chaos durchsetzt?«, fragte Saryn.
»Infiziert«, erklärte die Rothaarige, während sie den Arm betrachtete.
Nylan konnte spüren, wie Ayrlyn auf ganz ähnliche Weise, wie er die Felder um den Laserstrahl geformt hatte, die Sinne prüfend durch den Arm wandern ließ.
»Der Arm ist nicht infiziert«, erklärte Ayrlyn. »Ihr werdet überleben.«
»Aber was für ein Leben wird das sein, Heilerin?«, fragte Relyn. »Der große Krieger von Gethenhain, besiegt von einer Handvoll Frauen? Was für ein Leben mag mich danach erwarten?« Er nickte zu Nylan hin. »Und besiegt von einem unbekannten Magier.« Er schnaubte. »Wer würde mir glauben, dass weniger als ein Zug Frauen, ein einziger bewaffneter Mann und ein einziger Magier beinahe dreißig gut ausgebildete und bewaffnete Männer töten konnten?«
Nylan betrachtete Relyns Armstumpf. Vermutlich war es möglich, etwas wie einen Haken oder eine künstliche Hand zu konstruieren. Damit könnte der Mann vielleicht sogar wieder zupacken und würde aufhören, sich ständig selbst zu bemitleiden.
Gerlich lächelte knapp über den »einzigen bewaffneten Mann« und warf einen Blick zu Ryba. Das Lächeln verschwand sofort wieder.
»Ser, sie haben drei Züge von Fürst Nessils Männern getötet«, warf Narliat ein, indem er die verstümmelte rechte Hand hob. »Er hatte sogar einen Magier in seinem Gefolge. Und wir haben bisher noch keine Anzeichen dafür bemerkt, dass die Männer des großen Fürsten Sillek oder gar der Fürst höchstpersönlich kommen werden, um den Vater zu rächen. Fürst Sillek hat doch die Nachfolge seines Vaters angetreten, nicht wahr?«
»Das hat er getan, Kämpfer. Deshalb bin ich hier.«
»Könntet Ihr dies näher erklären?«, fragte Nylan. Er kannte die Antwort bereits, aber er wollte, dass die anderen sie aus dem Munde eines einheimischen Adligen hörten.
Ryba saß auf dem einzigen Stuhl am Ende des Tisches. Es war ein grob gezimmerter Stuhl, klobig wie alle anderen Möbel, aber Saryn hatte darauf bestanden, dass die Marschallin am Ende des Tisches sitzen müsse, und hatte ihr einen Stuhl gebaut. Ryba drehte sich halb zu Relyn herum, um ihm
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