Sturz Der Engel
aufführen, sondern wie ein Fürst.«
Sillek dreht sich um und geht langsam zu seinem Stuhl zurück. Mit funkelnden Augen bleibt er stehen und schaut seine Mutter an. »Ich bin der Herr von Lornth und mein Vater ist nicht der Ehre wegen gestorben. Er starb, weil er hinter fremdländischen Röcken her war. Ausgerechnet dich sollte ich nicht eigens daran erinnern müssen. Seine Ehre und seine Pflicht wären es gewesen, sein Volk zu schützen und zu behüten, und genau hier hat er versagt. Er hat mehr als zwei Züge Bewaffnete für nichts und wieder nichts verloren. Ich weiß, was Ehre bedeutet. Ehre bedeutet mehr als nur den Ruf zu haben, sich ohne Rücksicht auf Verluste in jede Gefahr zu stürzen. Es ist mehr, als Feinde in blinder Wut anzugreifen, ohne auf den Preis zu schauen, den man dafür zahlen muss. Du redest von Ehre, aber die Ehre, von der du unablässig und ohne wirklich darum zu wissen sprichst, diese Ehre wird den Menschen nichts als Schmerzen und einen vorzeitigen Tod einbringen. Es hat nichts mit Ehre zu tun, Lornth durch einen sinnlosen Angriff auf mächtige Feinde zu gefährden. Und es hat auch nichts mit Ehre zu tun, ausgebildete Kämpfer zu verschwenden, so wie man schales Bier in der Schänke auskippt.«
Er zielt mit ausgestrecktem Finger auf Ellindyja, als sie Anstalten macht, ihn zu unterbrechen. »Nein! Ich will keine Sprüche mehr über diese dummen Ehrenhändel hören und solltest du mir jemals wieder mit diesem Wort kommen, dann wirst du tatsächlich wie im Kloster eingesperrt sein – hoch droben und einsam und voller Ehre im höchsten Turm meiner Burg. Dort kannst du dann über Ehre nachsinnen, bis du stirbst. Und dich mit deiner Ehre trösten, weil nichts und niemand sonst dir mehr beistehen wird. Hast du das verstanden, meine liebste Mutter?«
Ellindyja erbleicht. Sie öffnet den Mund.
Sillek schüttelt ungestüm den Kopf.
Schließlich neigt sie den Kopf. »Ja, mein Sohn und Herr.«
Eine Zeit lang herrscht Schweigen in der Kammer.
»Mir liegt nach wie vor viel an deinem Rat «, erklärt Sillek schließlich ruhig.
Ellindyja schaut nicht auf, während die Nadel unsicher den zweiten Bogen des Diadems zu füllen sucht.
»Was ist nun mit Ser Gethens Tochter?«, fragt er.
»Es wäre keine schlechte Idee, Ser Gethens Tochter den Hof zu machen«, sagt Ellindyja leise, den Blick fest auf die Stickerei geheftet. »Kein Herrscher ist so reich, dass er es sich leisten kann, die Augen vor einer hübschen Dame mit schönen Ländereien zu verschließen … und dieser … nach diesem Vorfall bleibt Ser Gethen nur mehr ein einziger Erbe.«
»Fornal soll ein ausgezeichneter Kämpfer sein.«
»Das mag wohl sein«, erwidert Ellindyja. »Aber das Leben ist unberechenbar, wie ja auch dein eigener Vater herausgefunden hat. Auch wenn Ser Gethen ein umsichtiger und kluger Krieger ist, weiß ich sicher, dass er alles andere als erfreut ist.«
Sillek wendet sich vom Fenster ab. »Du meinst also, ich sollte nach Carpa gehen und sein gesträubtes Gefieder glätten?«
»Es könnte dir nicht schaden und da du dir so viele Gedanken über die möglichen Ränke Fürst Ildyroms machst, statt dich mit … mit anderen Dingen zu beschäftigen, wärst du dort immer noch nahe genug, um jederzeit nach Clynya zu gelangen, falls – ja, falls diese entfernte Möglichkeit überhaupt eintreten sollte.« Die pummeligen Finger scheinen einige Augenblicke lang zu fliegen und der goldene Faden zieht den Umriss des Diadems nach.
»Ein Angriff ist wohl kaum eine entfernte Möglichkeit, wenn der benachbarte Fürst auf deinem Land eine Festung baut.« Silleks Gesicht ist ernst, Kälte strahlt von ihm aus.
Ein zackiger Blitz wirft fahles Licht auf die Dächer von Lornth und das nahe Krachen des Donners untermalt Silleks Bemerkung.
»Das ist wahr. Vielleicht könntest du diesen Punkt Ser Gethen persönlich vortragen.« Fürstin Ellindyja legt die Stickarbeit auf dem Schoß ab, ohne ihrem Sohn in die Augen zu schauen.
Sillek hebt die Hände, lässt sie wieder sinken. »Wir werden sehen.«
»Mein lieber Sillek, ich verstehe, dass du dich um das Wohl von ganz Lornth sorgst. Ich unterbreite dir ja auch nur Vorschläge, die meiner Ansicht nach gut für Lornth sind und die dir helfen, dein Erbe zu hüten.«
Sillek presst wieder die Lippen zusammen.
Ellindyja wendet den Blick ab. »Mein Sohn und Herr, Ser Gethen ist sehr aufgebracht. Mehr kann ich dazu nicht sagen.«
Silleks Blick ruht auf ihr, aber sie sagt nichts
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