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Sturz der Tage in die Nacht

Sturz der Tage in die Nacht

Titel: Sturz der Tage in die Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antje Rávic Strubel
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ein bisschen was durchsickern lassen«, sagte Feldberg, nahm eines der Gläser und hielt es sich genießerisch unter die Nase. »Noch die gleiche Marke?«
    »Was?«
    »Ich würde es mal so formulieren: Die Lage hatte sich geändert. Ich bin auf dem anvisierten Territorium auf veränderte operative Voraussetzungen gestoßen.«
    »Davon hättest du mich in Kenntnis setzen müssen«, sagte Ton.
    »Wenn du Wand an Wand wohnst, weißt du nie, wer alles mithört.«
    »Deine Geheimniskrämerei geht mir echt auf den Sack!«
    Feldberg lachte. »Der ist gut.« Er kippte den Hennessy wie einen Schnaps. »Die Nerven sind deine große Schwachstelle«, sagte er dann ernst. »Das müssen wir im Auge behalten.«
    »Red kein Blech.«
    »Zu Angst kann man ein panisches oder auch ein produktives Verhältnis haben. Das weißt du.«
    Felix Ton drehte sich zum Fenster, und als er den knochenbleichen Mond hinter den Bäumen sah, spürte er, dass ihm die Lässigkeit, mit der Feldberg Inez als Schlampe hinstellte, einen Stich versetzt hatte.
    »Komm mal zur Sache«, sagte er gereizt.
    Feldberg schwieg.
    Als Ton sich umdrehte, sah er ein mildes Lächeln auf Feldbergs Gesicht, ein typisches Lächeln, er kannte das, eines, das sie alle hatten, wenn sie sicher sein konnten, dass ihre ausgelegte Falle zuschnappte.
    »Ich weiß, das ist eine Berufskrankheit. Aber ich wäre dir dankbar, wenn du deine Methoden bei mir nicht zur Anwendung brächtest.«
    »Sieh’s nicht so streng«, sagte Feldberg. »Inez’ Verhältnis zur Angst ist ein produktives. Ich habe ihr zu verstehen gegeben, dass der Junge für sie wie ein Nachhausekommen ist. Der Junge ist Heimat.«
    »Bist du völlig übergeschnappt?«
    »Inez’ produktives Verhältnis zur Angst wird bereits dafür gesorgt haben, dass der Sinn meiner Verwendung dieser Worte zu ihr durchsickert.«
    Es war nicht der Hennessy, den Feldberg so sichtbar genoss. Und auf einmal hasste er Feldberg. Er hatte ihn immer gehasst. Er hatte ihn schon gehasst, als er ihm noch den beschissenen Kühlschrank füllen und zu Parties überreden musste, er hatte ihn gehasst dafür, dass er sein Sofa benutzen durfte, er hatte die sauber aufgerollte Zahnpastatube im Bad und die aufgereihten Hausschuhe neben der Wohnungstür gehasst. Er hatte seine Visage gehasst, dieses ironische Grinsen, das ihn empfing, wenn er nach dem guten, süffigen Sex mit Inez in Feldbergs Bude zurückgekommen war, diese grinsende Visage, die nicht verbergen konnte, wie neidisch dieser Mensch war. Er hatte es gehasst, dass Feldberg das nie zugab, dass er überhaupt nie etwas blicken ließ, immer in Deckung hinter dem Kampfauftrag, alles, was ihn ausmachte, hatte er weggesperrt, atomkriegssicher gelagert, und deshalb musste er alles um sich herum wie bekloppt aufsaugen, nur deshalb hatte er Ton auf seinem Sofa schlafen lassen.
    Der Alkohol glühte in seinem Kopf. Er ließ sich in einen der weichen Ledersessel fallen. Er winkte mit dem Glas, und Feldberg schenkte ihm ein, eilig und besorgt. Dieser Mensch war sich seiner Sache zu sicher. Und das hasste Ton am allermeisten.
    »Du solltest mir den Jungen zuführen«, sagte er schlapp und bemerkte im selben Moment, dass er schon Feldbergs Vokabular benutzte. »Und du solltest sicherstellen, dass Inez die Klappe hält. Aber statt den Jungen aufzuklären, plauderst du bei Inez?«
    »Wie gesagt. Die operativen Voraussetzungen hatten sich geändert.« Draußen wurde es hell. Es begann mit einer cremefarbenen, ins Zartrosa gehenden Färbung der Regenrinne, die an der linken Seite des Balkons nach unten führte, und setzte sich über das Balkongeländer und die Fensterbretter fort. Ton merkte, wie müde er war. Er konnte den Geruch des Cognacs auf einmal nicht mehr ertragen. Er stand auf, öffnete die Balkontür und schüttete den Rest in einem weiten Bogen in den beginnenden Morgen, hinaus an die frische Luft, hinunter auf die Gleise der Straßenbahn.
    »Wir haben mehr Glück, als wir dachten«, sagte Feldberg hinter ihm. »Wir sind richtige Glückspilze, wir zwei.«
     
    Kraniche, Reiher, Störche. Dieses Faible für Vögel. Diese Anhänglichkeit an Dinge und Menschen, die Inez nie hatte ablegen können, dachte Ton in der Frische des beginnenden Morgens. Die sie wahrscheinlich auch nie ablegen würde. Die zu einer richtigen Krankheit geworden war. Sie hatte an einem abgenutzten Plüschtier gehangen, weil es sie vor Urzeiten mal über ihre kindlichen Angstträume hinweggetröstet hatte. Sie hatte an ihren Eltern

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