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Sturz der Tage in die Nacht

Sturz der Tage in die Nacht

Titel: Sturz der Tage in die Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antje Rávic Strubel
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reaktionären Element, ich will Ihnen die sprachlichen Feinheiten nicht vorenthalten.
    Als ob du dabei gewesen wärst
, hatte Feldberg nach der Ausstrahlung der Sendung ehrlich beeindruckt gesagt.
Woher wusstest du bloß das mit den Händen
?
    Lauter grüne Elefanten.
    Die schmutzige Baracke war ein mehrstöckiger Betonbau in Berlin-Lichtenberg gewesen. Er hatte dort zu einer dieser bekloppten Aussprachen erscheinen müssen, in denen es um seine Tauglichkeit ging. Schlichte, weiße Räume, im Erdgeschoss Milchglasfenster. Das ganze Gebiet war mehrfach abgesperrt. Er hatte eine Weile auf dem Flur gewartet, dann hatte man ihn hereingerufen. Vier Offiziere hatten hinter einem langen Tisch gesessen, ein einziger Holzstuhl stand auf der anderen Seite. Der war für ihn. Man bot ihm Kaffee an. Die Offiziere stellten ihm Fragen, deren Antworten sie gewöhnlich schon kannten. Aber alle Befragten taten so, als wären diese Antworten gerade aus der Tiefe der Seele, des Herzens, des Bewusstseins zu ihnen aufgestoßen, je nachdem, was diesmal der Überprüfung unterzogen werden sollte.
    Auch der Kollege mit dem Karnickel war zum Einsatz gekommen. Er las eine umständliche Beurteilung vor. Er wusste nichts vom Tod im Karnickelurin und erklärte Ton für absolut zuverlässig. Einer der Offiziere blätterte in einem Hefter mit Papieren, die Studienbeurteilungen, das Zeugnis der Berufsausbildung mit Abitur, ein Empfehlungsschreiben von Rainer Feldberg. Soweit war alles gut gegangen. Aber dann hatte der immer noch blätternde Offizier gesagt: »Inez Rauter ist Ihnen ans Herz gewachsen.«
    »Ich habe vor, mich mit ihr zu verloben«, hatte Ton wahrheitsgemäß geantwortet.
    »Sie mögen den Vater.«
    »Er war mein Lehrer.«
    »Das ist uns bekannt.«
    »Er hat mir gezeigt, dass aus mir was werden kann.«
    »Vor allem wollen Sie ein Mitglied dieser Familie werden, nicht wahr.«
    Was weißt du Hornochse schon von Familie
, hatte Ton damals gedacht, und auch heute dachte er noch genauso, was ihn erleichterte, bis er daran denken musste, wie ihm dieses Denken damals vergangen war.
    »Sie wissen, dass sich in dieser Familie reaktionäre Tendenzen breitmachen.«
    »Ich bin mir dessen bewusst. Aber ich war der Überzeugung, wenn ich den Vater erst mal für unsere Sache gewonnen habe, dann –«
    »Dieser Überzeugung waren Sie also, Herr Ton.« Der Offizier, der mit ihm sprach, lächelte.
    »Wir brauchen reine Herzen«, hatte einer der anderen Offiziere sanft zu ihm gesagt. »Klare Herzen, Jugendfreund Ton.«
    Herz. Oder Seele. Oder Bewusstsein. Nie war die Rede von Arschloch oder Achselhöhle, dachte Ton, obwohl man es dort am deutlichsten spürte, wenn sie einen in die Enge trieben, an der Feuchtigkeit des Hemdes unter den Achseln oder einer verstärkten Darmtätigkeit.
    »Perspektivkader haben wir viele«, sagte der erste Offizier. »Nur die Wenigsten erweisen sich als tauglich. Mit Ihnen sind wir ausgesprochen zufrieden. Sie haben Charakterstärke. Sie zeigen Haltung. Sie haben hervorragende Leistungen in Ihrem Studienfach. Ihnen könnte eine vielversprechende Zukunft bevorstehen. Einen unsauberen Umgang allerdings kann sich eine Eliteeinheit eines sozialistischen Landes nicht leisten.«
    Das war das Ende des Gesprächs, nachdem nur noch das trockene Zuklappen des Hefters, Stühlerücken und das hastige Aufspringen des Kollegen mit dem Karnickel zu hören gewesen war, der den höheren Rängen beim Hinausgehen salutierte.
    »Die Frauen sind das Hinterland eines jeden Tschekisten«, hatte dieser Kollege nach einer Weile gemeinsamen Schweigens gesagt. »Such dir was anderes, Mann. Da läuft genug draußen rum.«
    Die
rbb
-Moderatorin hatte in der Sendung rote Bäckchen unter ihrem Make-up bekommen, und wenn ihm nicht irgendwie die Einzelheiten durcheinandergeraten wären, hätte er sich am liebsten noch etwas bei den Verhörmethoden aufgehalten.
    Und diese Frau, wegen der man Sie damals so schikanierte, Herr Ton, diese Frau hält Sie immer noch mit Gewalt von Ihrem Kind fern?
Die Moderatorin hatte einen Kiekser in der Stimme gehabt.
Wollen Sie uns ihren Namen wirklich nicht verraten?
    »Sie sind wie Königskinder, können’s nicht fassen, dass gerade sie sich geseh’n, sie würden alles Gewes’ne verlassen, nur damit sie zusammen geh’n.« Petra Ziegler & Band, das war das letzte Lied, zu dem er Inez beim Tanzen beobachtet hatte.
    Lassen wir die privaten Schlangengruben zu. Ich benutze das nur als Beispiel, damit Sie sehen, dass hinter

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