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Sturz der Tage in die Nacht

Sturz der Tage in die Nacht

Titel: Sturz der Tage in die Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antje Rávic Strubel
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sprang übermütig aus der Bahn.
    Der Countdown lief. Man würde den Jungen einkleiden müssen. Er hatte keine Ahnung, was dieser Kerl so trug und wie er drauf war. Er wusste nicht, wie er sich anstellen würde, wenn vor ihm ein Mikro stand. Vielleicht brauchte er einen Haarschnitt. Vielleicht hatte er schlechte Haut und müsste erst mal in die Maske. Da überlegte sich Feldberg die irrsinnigsten Schachzüge, aber auf die Idee, ein aktuelles Foto zu machen, kam er nicht. Im Grunde wusste er nichts von diesem Kerl, von seinem
Sohn
, dachte er, das musste er sich langsam mal angewöhnen. Das stand jetzt nicht mehr nur in der Zeitung. Der war jetzt echt. Wieder überkam ihn dieses leichte Ziehen in der Brust, das ihm signalisierte, wie unsicher er war. Sein Sohn war ein vierundzwanzigjähriger Mann, der ihm vielleicht sogar ähnlich sah. Ein jüngerer Ton. Ein besserer Ton. Ein guter Mensch, dachte Felix Ton schwungvoll, wofür er sich ein wenig anstrengen musste. Und als er darüber nachdachte, ob man von seinem eigenen Kind eine bessere Meinung hatte oder haben müsste und ob man mit ihm auf eine andere Weise umging als mit jedem anderen Menschen, und er sich fragte, auf welche Weise, fiel sein Blick auf eine große Plastikpalme im Eingangsbereich der Schwimmhalle. Früher hatte dort ein Mosaik gehangen. Es war der Sanierung zum Opfer gefallen. Ton war nie ein Freund von Mosaiken gewesen. Aber jetzt vermisste er es. Dieses Mosaik hatte das Leben noch als das dargestellt, was es war: eine kackbraune, schmutzige Drecksangelegenheit. Arbeit und Mühe. Und ganz selten mal ein Glitzerstein. Das war wenigstens ehrlich gewesen. Heute behängten sie Plastikpalmen mit Lichterketten, als wäre das Leben ein großes exotisches Abenteuer. Kein Wunder, dass die Leute depressiv wurden.
    Ton löste ein Ticket.
    Er lieh sich ein Paar Latschen und streifte seine Socken ab. Barfuß betrat er die Halle. Es roch nach Chlor. Um diese Zeit zogen nur wenige Schwimmer ihre Bahnen. Er entdeckte Feldbergs Badekappe, die sich den Sprungtürmen näherte. Feldberg war ein Hallenschwimmer. Das war er schon immer gewesen. Seit Ton ihn kannte, war er regelmäßig zweimal die Woche nach der Arbeit in die Schwimmhalle gegangen. Selbst im Sommer hatte Feldberg, so lange es ging, seine Bahnen in der Halle gezogen. Dabei lag die Ostsee direkt vor der Tür. Der Chlorgeruch störte Feldberg nicht. Ihn ekelte es vor offenem Gewässer. Das würde man von einem wie ihm nicht unbedingt erwarten, dachte Ton, das war geradezu exzentrisch. Wenn bei Sommerfeten auf der Datsche die ganze Truppe zur nahe gelegenen Badestelle gewankt war und sich jeder so, wie er geschaffen war, ins dunkle Wasser gestürzt hatte, war Feldberg am Ufer geblieben. Er hatte sich splitternackt ausgezogen wie alle, nur reinkommen wollte er nicht. Er verschränkte die Arme und redete sich damit heraus, dass ihm auf einmal kalt wäre, dass er zu besoffen wäre, dass zu viel Chemie im Wasser wäre, das wisse man doch, das könne man ja sehen, wie dieser radioaktive Abfall die ganze Greifswalder Bucht leuchten lasse! Unter vier Augen sah die Sache allerdings anders aus, da war das eine ausgewachsene Phobie, das hatte Feldberg zugegeben, auch wenn ihm das nicht leicht gefallen war. Es war die nackte Angst vor der scheinbaren Endlosigkeit, mit der das Gewässer unter ihm in die Tiefe ging.
    Ton stellte sich an den Rand des Beckens. In der Hand hielt er die feuchten Socken. Er wartete, bis Feldberg näher auf ihn zugeschwommen kam. Dann machte er ihm ein Zeichen.
    »Kandidat ging im Anzug baden«, rief Feldberg und hielt sich an der Spuckrinne fest, die nicht wegsaniert worden war. »Diese Schlagzeile möchte ich in vier Wochen aber nicht lesen.«
    »Dreieinhalb, Rainer! Dreieinhalb Wochen, in denen wir unseren medialen Siegeszug antreten werden!«
    Feldberg setzte die Schwimmbrille ab. Seine Stoffbadekappe stammte noch von früher, grün-weiße Streifen, sie löste sich langsam auf. »Wieso?«
    »Sie schickt ihn zu mir. So einfach geht das. Sie hat es mir am Telefon gesagt.«
    »Deinem Gesicht nach zu urteilen, sprichst du von deinem Sohn.«
    »Mach, dass du aus diesem Becken rauskommst! Wir müssen überlegen, wie wir die Nachricht am besten lancieren.«
    »Deiner Wortwahl nach zu urteilen, sprichst du bereits von einem Wahlsieg«, sagte Rainer Feldberg und stemmte sich am Beckenrand hoch, bis er mit dem Bauch vor Ton auf den Fliesen lag. »Was möchtest du denn
lancieren
?« Er kam auf die

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