Sturz der Tage in die Nacht
Untersuchung in Auftrag gegeben?«, fragte Inez.
»Frau Rauter, Sie sind jetzt nicht dran.«
»Ich arbeite seit fast drei Jahren hier, was ich Ihnen zu verdanken habe.«
»Es geht nicht nur um Sie.«
»Warum sollte ich meine Forschungsarbeit kurz vor dem Ende riskieren, indem ich meine Verpflichtungen gegenüber dem Karlsöclubb vernachlässige? Ich frage mich, wer Sie davon überzeugt hat, diese Untersuchung in Auftrag zu geben.«
»Das waren die Kollegen von der deutschen Umweltbehörde«, sagte der Vereinsvorsitzende. »Da es sich bei uns, wie Sie wissen, um eine deutsch-schwedische Projektträgerschaft handelt, hat das auch seine Richtigkeit.«
»Haben Sie mal überprüft, ob das sogenannte Gutachterbüro, das Sie da beauftragt haben, für Umweltbelange tatsächlich auch ausgewiesen ist?«
Man hörte das Schaben des Pappbechers auf der Tischplatte bei jeder Runde, den er in Inez’ Hand machte.
»Herr Feldberg kommt von einem seriösen Unternehmen«, sagte Guido.
»Weil das auf seiner Visitenkarte steht? Das soll er erst mal beweisen.«
Feldberg lächelte.
»Finden Sie nicht«, sagte der Vereinsvorsitzende, »dass Sie ein wenig überreagieren?«
»Ein Naturschutzgebiet ist nicht zum Schutz der Menschen da«, sagte Inez.
»Frau Rauter, ich kann verstehen, dass Sie nervös sind. Aber ich sag es noch mal: Es ist eine reine Routinekontrolle. Wenn ich anfangen würde, jeder Empfehlung der deutschen Kollegen zu misstrauen, hätte ich ziemlich schnell ein politisches Problem am Hals. Also lassen Sie den Mann seine Arbeit machen, und Sie machen Ihre.«
Inez reagierte nicht. Nur den Becher ließ sie los. Sie schnippste gegen den Rand, und der Becher fiel um und schlitterte über den Tisch, direkt auf Feldberg zu, der zurückwich, aber der Becher erreichte ihn nicht.
»Was genau unterstellst du Feldberg eigentlich?«, fragte ich Inez hinterher.
»Er verarscht uns alle«, sagte sie und ließ mich stehen.
Als ich noch einmal zurückging, um meine Jacke zu holen, die ich vergessen hatte, sah ich Feldberg mit dem Vereinsvorsitzenden am Fenster stehen. Der Vereinsvorsitzende wischte auf seinem Westover herum, als hätte er Flecken oder Fussel auf der Wolle entdeckt. Rainer Feldberg redete auf ihn ein. Ich hörte ihn sagen, dass regelmäßige Zwischenberichte über die Betreuung der Touristen sinnvoll wären, dass man einen besseren Zugriff auf die Vorgänge auf der Insel bekomme, wenn Inez Rauter wöchentlich einen Fragekatalog auszufüllen hätte, den sie zur Unterschrift vorlegen müsse. Dass das schwedische Prinzip der Freiheit mit Verantwortung, demzufolge, wenn er das richtig verstanden habe, schon den Kindern zugestanden werde, verantwortungsbewusst und selbstständig zu handeln und dabei das Wohl der Gemeinschaft immer vor Augen zu haben, dass dieses
duktig
also, so heiße das doch, keine deutsche Tugend sei, weshalb zu viel Freiraum in diesem Fall nicht unbedingt vorteilhaft für den Auftraggeber wäre.
Der Vereinsvorsitzende nickte und pflückte Fussel von seinem Westover. Dann lächelte er Feldberg an und sagte: »Ich wünschte, meine Frau würde die Wäsche nicht immer so huschhusch machen.«
Anfang oder Mitte Juli. Das waren die Abende und Nächte, die wir auf dem Plateau verbrachten. Wir hatten uns angewöhnt, auf den Liegestühlen nah an der Hauswand zu sitzen, die die Wärme des Tages gespeichert hatte. Jeden Abend saß ich dort und wartete auf Inez. Ich trug Flipflops oder Chucks, die Luft war mild, ich spürte den Sonnenbrand im Rücken. Ich sorgte für Bier, ich öffnete Inez eine Flasche, sobald sie kam, und wenn sie keine Lust hatte auf Bier, trank ich allein. Es gefiel ihr nicht, wie ich sie ansah. Sie habe sich bedrängt gefühlt, gestand sie mir später, sie empfand es als störend, so herausfordernd angestarrt zu werden, manchmal schon fast als Provokation. Und doch habe sie sich gesehnt nach diesen Abenden. Sie sei häufig morgens schon mit dieser Sehnsucht aufgewacht, weshalb der Tag dann leicht und sorglos verlaufen sei.
Auch mir gelang es in jenen Tagen nicht, dieses Fieber auszuschalten, die Vorstellung von ihrem Körper auszuschalten, die mich vor dem Einschlafen besonders heftig überfiel, die weißen Träger ihres BH s, die Fältchen, die in ihre Achselhöhle führten, auch nur für einen Augenblick zu vergessen, ihre Brüste, die unter dem luftigen Shirt in den weißen Schalen zu ahnen waren, ihren Duft, der tief war und klarer als bei den Mädchen, die verwaschen nach
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