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Sturz der Tage in die Nacht

Sturz der Tage in die Nacht

Titel: Sturz der Tage in die Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antje Rávic Strubel
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Kaugummi, Bodylotion und süßlichen Deos rochen. Es erregte mich, mir vorzustellen, wie Inez sich morgens im Bad im Spiegel ansah, wie sie sich fertig machte, wie sie Eyeliner, Lippenstift und Lidstrich so auftrug, dass es kaum sichtbar war, aber ihr Gesicht strahlen ließ. Mich erregte, dass sie eine Frau war, die mit ihrem Gesicht umgehen konnte, eine Frau, die man in den Linien und Konturen ihres Gesichts erkannte, während die Gesichter der Mädchen hinter einer dicken, glatten Gewebeschicht steckten, die sie alle gleich machte. Und selbst wenn es mir gelungen wäre, alle diese Vorstellungen auszuschalten, wenn es mir gelungen wäre, nüchtern zu bleiben und mich umfassend zu informieren, wie Rainer Feldberg gesagt hatte, wenn ich versucht hätte, in Kenntnis aller Einflussgrößen zu gelangen, selbst dann wäre alles genauso passiert. Ich war Inez verfallen.
    Eines Abends brachte ich sie dazu, mir zu gestehen, dass etwas in diesem ersten Augenblick stattgefunden hatte, in diesem Moment auf dem Kai an der Fähre, etwas, das nicht Rainer Feldberg betraf, sondern mich, auch wenn es sich nur in einem Zögern gezeigt hatte.
    Sie hatte es zugegeben und das Thema gewechselt. »Hörst du das, Erik? Wie schläfrig die Vögel sind? Sie sind schläfrig von diesem unglaublichen Sommer.« Der Wind trieb eine Haarsträhne auf ihre Wange. Es ließ sie verwegen aussehen. »Dieses Abendgeschrei«, sagte sie. »So matt und so voller Ungeduld.«
    Wir redeten bis zum Morgen, bis es Zeit wurde, in die Felsen zu gehen. Inez hatte sich angewöhnt, der Praktikantin zweimal in der Woche die Frühschicht abzunehmen, die gegen fünf begann, wenn die ersten Vögel zu Beutezügen starteten. Sie stießen von den Felsen zum Wasser hinab, tauchten und brachten im Schnabel Fische zurück, die im Spektiv deutlich zu sehen waren.
    Die Luft war kühl. Ich hatte die Fleecejacke bis oben geschlossen und hockte übernächtigt neben Inez. Abwechselnd sahen wir durch das Spektiv. Wir suchten nach Nestern, in denen noch Eier waren. Im Juli gab es nur noch wenige brütende Pärchen, einjährige, unerfahrene Tiere, deren Küken zu spät schlüpfen würden. Für diese Nachzügler blieb keine Zeit mehr. Sie schafften es nicht, rechtzeitig die Wärmeregulierung ihrer Körper auszubilden. Bevor das Gefieder wasserresistent geworden war, mussten sie ins Meer springen, begleitet von einer ausgewachsenen Lumme, die sich in einem trudelnden Schmetterlingsflug hinter dem Jungen herfallen ließ. Jeder der trancegleichen Flügelschläge trieb ein dünnes Japsen aus dem Körper der Lumme, als ahne sie, dass dem Küken, sobald es aufkam, das Wasser in die Federn dringen, es nicht tragen würde, sondern immer tiefer hinunterzog.
    Wir behielten die Nester im Auge. Wir versuchten, die Farbe der Eier zu erkennen, sobald sich ein Vogel erhob. Die Lummen peitschten mit den Flügeln den Felsen, drehten das Ei um die Achse, um sich dann wieder niederzulassen oder dem Partner Platz zu machen. Es gab ockerfarbene und braune, gelbe und sandfarbene Eier, jedes war anders gesprenkelt. Als Inez glaubte, ein türkisfarbenes Ei zu erkennen, schob sie sich auf dem Bauch bis zum Rand des Felsvorsprungs heran, um einen besseren Blick zu haben. Und als ich sie so daliegen sah, musste ich an Feldberg denken und an seinen Auftrag
im Interesse des Vereins
und dass das, was er als starkes Abkapseln bezeichnet hatte, eine Notwendigkeit war. Wer so viel Zeit bei den Vögeln verbrachte, wer stundenlang draußen auf dem Beobachtungsposten saß, wer die Vogelschreie zu deuten verstand und ihren Flug lesen konnte, passte sich dieser einsamen Beschäftigung zwangsläufig an, wurde einsilbig, verschlossen, verträumt. Und auch jetzt, da ich weiß, dass ihr Verhalten noch ganz andere Gründe hat, halte ich ihre Zurückgezogenheit, ihre ins Innere gerichtete Kraft für eine ihrer wesentlichen Eigenschaften.
    Wir entdeckten an diesem Morgen kein türkisfarbenes Ei. Hätten wir eines entdeckt und wäre das Nest erreichbar gewesen, hätte ich das Ei gestohlen und es ihr geschenkt. Ein türkises Ei, sagte Inez, finde man so selten wie eine dreißig Jahre alte Tordalke.
     
    Die Abende auf dem Plateau glichen sich, der rote Himmel, das aufgepeitschte Wasser, das Tumultgeschrei der Vögel auf den Wellen, die ihre Jungen lockten. Tauchte eine Lumme windgejagt oberhalb der Klippe auf, schimmerte ihr Gefieder.
    »Weißt du eigentlich, dass das Feldberg war?«, sagte ich eines Abends. »Vor einer Woche in

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