Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Sturz der Tage in die Nacht

Sturz der Tage in die Nacht

Titel: Sturz der Tage in die Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antje Rávic Strubel
Vom Netzwerk:
Feldberg.
    »
Sie
sind doch der, der immer wieder davon anfängt! Mir reicht’s langsam. Ihr habt ja alle den Inselkoller.«
    »Was machen Sie dann noch hier?«
    »Und Sie«, sagte ich und merkte, wie die Wut wiederkam, dass sie noch nicht verschwunden, sondern vom überraschenden Auftauchen Feldbergs nur kurzzeitig überdeckt gewesen war. »Was machen Sie noch hier? Mit Ihrem bescheuerten Hut? Ihrem schwachsinnigen Gequatsche von der Durchschaubarkeit der Leute und wie Sie drüberstehen. Sie Menschenkenner!«
    Feldberg zuckte mit keiner Wimper. »Sie fragen mich das ziemlich oft, Erik.«
    »Ja. Bis ich es kapiert habe.«
    Er öffnete die Hände, machte eine Geste, als wäre er ein Priester, der zum hundertsten Mal erklärte, dass Gott nicht zu begreifen ist, und sagte dann: »Wissen Sie was, Erik. Ich hatte mir Ihren Einfluss auf Inez ein bisschen anders vorgestellt.«
    »Dumm gelaufen«, sagte ich. »Da müssen Sie wohl selber Hand anlegen beim Büscheabholzen.«
    »Wovon reden Sie?«
    »Die Irrbeeren«, sagte ich. »Das Rauschgift. Die Mafia. Schon vergessen? Das müssen Sie jetzt alles ganz alleine vernichten.«
    Feldberg lachte.
    »Wahrscheinlich sind Sie dabei genauso gründlich, wie Sie es bei Inez waren. Sie hat gesagt, dass sie wegen Ihnen kein Abitur machen durfte.«
    Feldberg stellte den Becher, ohne zu trinken, auf dem Tisch ab.
    »Dann sind Sie also doch schon weiter, als ich dachte«, sagte er und sah mich freundlich an. »Und haben Sie sie denn auch«, er zögerte, »Sie wissen schon –« Er machte aus der rechten Hand eine Faust und schlug mit der flachen Linken mehrmals auf die Öffnung, als würde er eine Weinflasche verkorken.
    Ich starrte ihn an.
    »Ach nun kommen Sie, kriegen Sie doch nicht gleich immer den Moralischen! Es muss doch auch mal Spaß machen dürfen«, sagte er.
    »Nicht mit Ihnen.« Ich spürte, wie das Zittern im Nacken begann, und konzentrierte mich auf die Tischplatte.
    »Also, mein Lieber,
mir
ist das doch ganz einerlei«, sagte Feldberg. »Oder nein. Vielleicht sollte ich es anders sagen. Es gefällt mir. Es ist schön, dass ihr beide jetzt so gut miteinander könnt.«
    »Dann haben Sie es ja jetzt gesagt.«
    »Das Abitur hat sie übrigens nachgeholt. Falls Sie sich um ihren Bildungsweg sorgen. Sie ist kein Dummchen.«
    Ich sah in meinen Becher, auf eine blasse, sahnige Brühe.
    »Am besten, Sie verschwinden jetzt.«
    »Schon gut, Erik. Tut mir leid. Entschuldigen Sie!« Er griff über den Tisch hinweg nach meiner Hand. »Entschuldigen Sie meine Unverfrorenheit. Aber wissen Sie, wenn man sich so lange kennt wie ich Inez«, sagte er, und ich zog meine Hand zurück, »wenn man sich so lange nicht gesehen hat wie ich und Inez«, er wischte sich über den Mund, »dann geht es manchmal ein bisschen mit einem durch. Verstehen Sie? Ich gebe zu, ich war mal nicht ganz unbeteiligt an ihrem Leben und auch nicht ganz unbeteiligt an der Sache mit dem Abi. Ich war jung. Wir waren alle jung. Dabei war man damals ja immer schon erwachsen.« Er verschränkte seine Hände, dehnte die Handflächen und ließ die Knochen knacken.
    »Da gab es dieses Mädchen. Hübsches Ding, dachte ich. Dachten einige. Schon mit fünfzehn völlig ausgeflippt. Rannte im Winter immer mit Pulswärmern rum. Lila, grün, orange – machte man damals nicht. Und eine Arroganz; du meine Güte! Hielt sich für was Besseres. Kam aus einem Intelligenzlerhaushalt, wie man damals gesagt hat, Vater Lehrer, die Mutter irgendwas mit Schiffen. Meine beiden Alten zu Hause waren Arbeiter. Verstehen Sie. Schichtarbeiter! Knochenarbeit. Sie hatten ihre Privilegien, klar. Sie konnten ihr Maul aufreißen, wie sie wollten, bewirkte aber nichts. Man ließ sie quatschen und schuften. Waren eben keine Elite. Hat mich aber nie gejuckt. War ja der richtige Staat für so was. Und dann Pulswärmer und so ein Getue, als hätte sie ein Adelszeichen auf der Stirn. Der Gegensatz, verstehen Sie. Und trotzdem. Die Faszination war da.«
    Feldberg strich sich mit Daumen und Zeigefinger über die Mundwinkel, als hätte sich Spucke dort abgesetzt.
    »Die Faszination war da, das muss man schon zugeben«, sagte er. »Adelszeichen hin oder her. Hatte sich damit dann ja auch bald. Hat irgendwie rebellieren wollen gegen das ganze verkopfte Zeug, weg von der Schule, Erfahrung machen und so. Zog mit den richtigen Leuten um die Häuser, so was beeinflusst. Gerade in dem Alter, Stichwort Ressourcenallokation, verstehen Sie, Erik, da werden Weichen gestellt.

Weitere Kostenlose Bücher