Sturz der Tage in die Nacht
die keuscheste Person auf diesem Planeten
, wie Rainer Feldberg gesagt hatte, die sich jetzt weigerte, mir zum Bett zu folgen.
Sie hielt sich an mir fest, und ich spürte ihre Brüste. Sie waren weich und ein bisschen schwer, und als ich Inez mit mir gezogen hatte und wir endlich auf dem Bett lagen, setzte sie sich noch einmal auf.
»Du hast es dir schon vorgestellt?«, fragte sie leise, »oder?«
»Ja.«
»Was hast du dir vorgestellt?«
»Alles«, sagte ich.
Sie streckte die Hand aus, um mein Gesicht zu berühren. »Zeig mir, was du dir vorgestellt hast.«
Später wollte sie nicht, dass ich blieb.
Es war schon hell, als ich zurück zum Leuchtturm kam. Ich lag wach. Ich hörte die Ostsee an die Felsen donnern. Das Donnern klang so nah, als wäre die Ostsee an meinem Bett, als könne sie unter dem Kopfkissen Wellen schlagen. So früh am Morgen waren die Vögel still. Kein Tagesgeräusch dämpfte den unermüdlichen Schlag des Wassers. Kein sportlicher Ruf aus dem Motorboot, der die Stille durchschnitt und die Kajaker durchs Megaphon um die Insel trieb,
nicht nachlassen, Stunde noch!
Ich lag wach und versuchte mir vorzustellen, was Inez dachte, nach dieser Nacht mit mir, in der ich nervös und eckig gewesen war, ich fragte mich, ob es ihr gefallen hatte, und spürte mein rotgescheuertes Knie.
Für die Praktikantin war an diesem Tag niemand eingesprungen.
Abends saßen wir auf dem Plateau, Inez und ich, in diesen Tagen im Juli, im August, und Feldberg konnte uns, wenn er wollte, dort sehen. Wir hatten genug Bier für die Nacht und die Sonnenstühle zusammengerückt, wir saßen nah an der Hauswand. Feldberg konnte unsere Stimmen durchs offene Fenster hören, Inez’ Stimme und meine, und wenn er den Leuchtturm verließ, mussten trotz des Reißen des Windes noch Fetzen unserer Gespräche zu verstehen sein.
Wir mochten es dort. Inez war nicht auf ihren Vorschlag zurückgekommen, woanders hinzugehen. Sie schien sorgloser geworden zu sein. Nach unserer ersten gemeinsamen Nacht tat sie zwar so, als hätte diese Nacht nie stattgefunden, sie redete nicht davon und lud mich nicht mehr zu sich ein. Wenn meine Umarmung zu drängend wurde, entzog sie sich. Aber ich spürte, dass sie mich wollte. Jeden Tag fragte sie mich, ob ich abends vor dem Leuchtturm auf sie warten würde. Sie wusste, dass ich dort saß, und ich wusste, dass sie jeden Abend wiederkam.
Auch ich war sorglos.
Die Karten an Annegret waren abgeschickt. Ich hatte sie in den Briefkasten auf der Fähre geworfen, der in Klintehamn geleert wurde. Meine Mutter würde Bescheid wissen, ich hatte meine Pflicht erfüllt. Solange ihr Umzug bevorgestanden hatte, plagte mich noch das schlechte Gewissen, und ich hatte gehofft, sie würde mich nicht auf dem Handy anrufen. Aber sie rief nie von alleine an, denn ich hatte eine stolze Mutter, und als der Termin verstrichen war, verblasste der Gedanke an den Umzug. Je länger ich auf Stora Karlsö blieb, umso seltener dachte ich an meine Mutter, und fast nie dachte ich ans Ende des Sommers, an meine Pläne, Wirtschaft und Politik, und ob von einer Uni schon eine Zulassung gekommen war.
Das Leben schien einfach. Ich ging schwimmen und verschaffte mir an abgelegenen Stellen Erleichterung. Manchmal ging ich zu den Tollkirschen an der Schafsweide. Ich legte mich ins harte Gras oder auf eine der sonnenwarmen Kalksteinplatten und stellte es mir mit Inez in diesem Palazzo drüben auf Gotland vor. Halbbekleidet sah ich sie auf den weißen Stufen der Freitreppe. Ich ließ sie ihr grasgrünes Tanktop abstreifen. Ich ließ sie mit zurückgelegtem Kopf und verrutschtem Hemd dasitzen, ich ließ sie ihre Augen schließen und ihre Brüste hart werden vor Lust. Ich ließ mich zu ihr auf den Marmor fallen.
Den Palazzo hatte ich auf einem meiner Streifzüge entdeckt, bevor ich nach Stora Karlsö gekommen war. Mitten im Wald war ein Anwesen aufgetaucht. Das Haus war im italienischen Stil gebaut. Es hatte hohe Fenster, wilder Wein wuchs an der Hauswand. Es passte nicht in diese Landschaft, auf dieses Kliff, an diese raue Küste.
Ich war vom Strand gekommen und einem matschigen Weg gefolgt, der am Kliff empor in einen Wald aus Krüppelkiefern führte. Er endete an einem steinernen Torbogen. Hinter dem Tor erstreckte sich ein Lustgarten mit südeuropäischen Laubengängen, blühenden, betäubend duftenden Büschen, Skulpturen. Die Türen des Palazzo standen weit offen. Niemand war zu sehen. Im Haus brannten die Leuchter. Ein Flügel
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