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Sturz der Tage in die Nacht

Sturz der Tage in die Nacht

Titel: Sturz der Tage in die Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antje Rávic Strubel
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ausgehen, solange du willst.«
    Sie sagte nichts.
    »Dann kannst du auch trinken, soviel du willst. Oder mit wem du willst«, sagte ihr Vater nach einer Pause und untersuchte die Türklinke, die ein bisschen wackelte. »Der hat dich wohl ausgeguckt, was?«
    »Sag nicht der. Er heißt Felix.«
    »Ich weiß, wie er heißt«, sagte ihr Vater. »Und ich weiß auch, was das für einer ist.«
    »Es ist mir total egal,
was das für einer ist
, ich finde es zum Kotzen, Menschen zu beurteilen, die man gar nicht richtig kennt!«
    »Nicht jeder ist edel, hilfreich und gut. Auch wenn wir dich in diesem Sinne erzogen haben, ist es vielleicht an der Zeit, das etwas zu relativieren«, sagte ihr Vater.
    »Weil ein Mädchen wie ich auf Chansons reinfällt und Felix Ton in den Bereich Chanson gehört, stimmt’s?«
    »Was denn für Chansons«, sagte ihr Vater, der bei diesem Teil des Gesprächs im Klubhaus offenbar mit den Gedanken woanders gewesen war.
    »Chansons eben. Gesinge. Bürgerliches Gedankengut.«
    »Dann hast du mich falsch verstanden.«
    »Wie soll ich’s denn richtig verstehen?«
    »Inez, wir haben dich immer –«
    »– als einen offenen und ehrlichen Menschen erzogen, ich weiß.«
    »Ja. Aber nicht jeder kommt dir mit der gleichen Offenheit und Ehrlichkeit entgegen, auch wenn er so tut. Das scheinst du in deiner Spontanität manchmal zu vergessen.«
    »Ich versteh’s immer noch nicht.«
    Ihr Vater hielt seine Hand auf der Türklinke für einen Moment still.
    »Ich möchte nicht, dass du Umgang mit diesen Leuten hast«, sagte er.
    »Wenn du mit diesen Leuten junge Männer meinst, die einer Fünfzehnjährigen ein Glas Sekt spendieren und sich auch sonst nicht der allgemeinen Moral anpassen, dürfte das schwierig werden. Aber ich werd’s mir merken.«
    »Du bist alt genug«, sagte ihr Vater, während er noch einmal die Türklinke untersuchte. Die Plaste war an der unteren Schraube eingerissen. Irgendwann waren diese Türklinken immer an der Schraube eingerissen, und vielleicht kam ihrem Vater kurz der Gedanke, die Sache ließe sich aus der Welt schaffen, wenn er die Türklinke reparierte, wenn er die Plaste löten würde, die Klinke nicht mehr wackelte und die Tür problemlos schloss. »Sei vorsichtig. Ich sag das nicht aus Jux und Dollerei.«
     
    In den Tagen des Fiebers war Felix Ton ununterbrochen da. Sie konnte ihn spüren, als wäre er körperlich in der Hütte anwesend. Sie hatte eine Fiebertablette genommen, aber manchmal schreckte sie hoch in der Einbildung, seine Hand legte sich auf ihre Schulter, in ihr Haar. Oder sie hörte seine Stimme. Sie hörte ihn draußen, hörte seine flache dunkle Stimme nach ihr rufen. Sie wusste, dass dort der steinige, weißleuchtende Strand von Stora Karlsö war, und die Stimme, die sie hörte, war die Stimme des Jungen, aber das alles verschwand, und zurück blieb Felix Ton.
    Sein schwarzes wildes Haar. Die feingliedrigen Hände, die kräftigen Unterarme. Auch wenn er das Haar noch so straff kämmte, fiel es sofort in diese zerzauste Frisur zurück, die sie an einen Spanier denken ließ, obwohl sie damals noch nie im Leben einen gesehen hatte. Er sehe aus wie ein spanischer Seemann, sagte sie ihm, als sie sich das nächstemal trafen, was ihm gut gefiel. Er trug ein weißes Hemd, die Hemdsärmel offen, seine braungebrannten Füße steckten in Ledersandalen. Sie mochte sogar die Füße. Er öffnete die Arme, er strahlte Weite und Leben aus, und sie konnte keine Spur von jener Unruhe entdecken, die anderen Männern in den Gliedern zu sitzen schien und Inez nervös machte. Der blasse Schleicher, wie sie Feldberg insgeheim nannte, war nicht dabei. »Ich habe ihn in die Takelage geschickt«, hatte Felix lachend gesagt. »Hoffen wir, dass er schwindelfrei ist!«
    »Bist du denn schwindelfrei?«
    »Überhaupt nicht. Aber wenn ich dir ein Kompliment mache, ist das hundertprozent ungelogen.«
    Sie musste um zehn zu Hause sein. Aber der Nachtklub in Neubrandenburg hatte erst um neun Uhr aufgemacht, und es konnte immer passieren, dass ein Wartburg auf der Landstraße liegenblieb. Und auch wenn dieser Wartburg, der Felix Ton gehörte oder nicht, nicht liegengeblieben war, hatte sie sich verspätet.
    Sie hatte nichts gesagt, als Felix Ton auf der Rückfahrt in einen Feldweg einbog und hielt. Staub war durchs Scheinwerferlicht getrieben und hatte sich dann gelegt. Als sie die Deckenleuchte einschalten wollte, hatte Felix ihren Arm abgefangen und langsam an sich gezogen, bis ihre Hand auf

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