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Sturz der Tage in die Nacht

Sturz der Tage in die Nacht

Titel: Sturz der Tage in die Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antje Rávic Strubel
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Schiss?«
    »Wovor?«
    »Davor«, sagte Inez. »Davor, dass ich zu jung bin.«
    »Und du? Hast du Schiss?«
    »Nein«, sagte Inez. »Ich nicht.«
    Sie saßen auf dem Rand des Bettes. Inez saß am Fußende, Felix am Kopf. Die Decke hatten sie zwischen sich. Eine ganze Weile saßen sie so nebeneinander, sie da, er da, ohne sich zu berühren.
    »Dieses Feuerwasser ist auch nichts für dein Alter«, sagte Felix.
    »Dieses Feuerwasser bringt Tote um!« Sie spuckte den Kognak in die Tasse zurück. »Die Pulle musst du alleine austrinken.«
    »Mach ich«, sagte Felix.
    Sie saßen auf einem Neunzigzentimeterbett, in einem Achtquadratmeterzimmer mit einem tropfenden Wasserhahn, und sie wollte ein Paar sein. »Ein richtiges«, sagte sie zu Felix Ton, und Felix Ton sah sie eine Weile an. Dann legte er den Flaschenverschluss auf den Tisch.
    »In Ordnung«, sagte er. Er schob die Decke weg. Er warf sie auf den Boden. »Ich mach’s ganz langsam«, flüsterte er, während er entschlossen mit dem Handrücken über die Innenseite ihres Schenkels strich. »Und du sagst mir, ob du weniger willst oder mehr.«
    Er schob die Hand höher. Er fing an, mit ihr zu spielen, und sie hörte das Tropfen des Wassers nicht mehr. »Ein bisschen bourgeoises Feingefühl«, flüsterte er und öffnete den Reißverschluss ihrer Hose, »mehr brauchen wir nicht.« Er zog ihr die Hose über die Hüfte hinunter. Er öffnete seine Jeans und zog sie aus, und sie spürte zum ersten Mal in ihrem Leben einen Schwanz. Er lag schwer auf ihrem Oberschenkel. Und dort hatte Felix sich auch ergossen, auf ihrem Bein, während seine Hand plötzlich in ihr war.
    Draußen herrschte Nieselwetter. Felix Ton riss eine Ecke des Lakens unter der Matratze hervor, um sie damit abzuwischen, und lehnte sich dann mit dem Rücken an die Wand. Sie rutschte bis zum Kinn unter die Bettdecke.
    »Das war’s?«, sagte sie dann mutig. »Das machen wir noch mal.« Aber sie hatten nichts gemacht, sondern nur so dagesessen, Schulter an Schulter, vom Bett ganz bedeckt.
    Manchmal schauten sie sich an, aber die meiste Zeit sahen sie auf die weißen Berge ihrer Knie oder auf die Hände oder zu den Tropfen hinüber, die vom Wasserhahn fielen, hinunter ins Waschbecken an der Wand, und Felix hatte das Spiel mit dem Flaschenverschluss wieder aufgenommen. Nackt war es einfacher gewesen, sich nah zu sein.
    Als es draußen dunkel wurde, sagte sie: »Ich darf nicht zu spät nach Hause kommen.«
    »Klar. Natürlich.« Felix schnellte hoch und griff nach seiner Jeans. »Ich fahr dich.«
    »Deswegen werde ich heute gar nicht nach Hause kommen«, sagte sie.
    »Was?«
    »Ich bleibe hier.«
    »Im Ernst?«
    »Wir sind doch jetzt ein Paar.«
    Felix legte die Jeans zurück. »Spüre ich da eine revolutionäre Regung?« Es klang wie ein Lob, was ihr gefiel.
    »Ist schon ein guter Typ, dein Vater«, sagte er beim Verschließen der Zimmertür. »Wird schon nicht so schlimm werden.«
    »Du hast doch Schiss. Gib’s zu!«
    »Er wird mir die Hölle heiß machen.«
    »Feigling.«
    Felix lachte. »Keine Sorge. Ich glaub, er findet mich ganz in Ordnung. Hat sich ja immer mich ausgesucht für seine Waldläufe. Jeden Dienstag und Donnerstag, gleich nach der Schule, sind wir gerannt. Er hatte total bekloppte, schräg geschnittene, blaue Turnhosen an. Es gab ein paar Tussis in meiner Klasse, die haben sich kaputtgelacht. Was ’n das für’n Homo, geht der zu Hause im Fummel und so. War man natürlich gleich mit unter Verdacht, wenn man mit ihm im Wald verschwand.« Felix goss sich Kognak in die Tasse. »Die beiden Detlefs und so. War mir aber egal. War mir immer eine Ehre, mit deinem Vater zu laufen. Gab nicht so viele Lehrer damals, die meine Stärken erkannt haben.« Er trank einen Schluck, dann kniete er sich hinter sie und nahm ihre Hüfte zwischen seine Beine. »Hat nicht lange gedauert, und ich bin ihm davongerannt«, flüsterte er ihr ins Ohr, während seine Hände sich unter ihre Brüste schoben, »und jetzt hab ich seine minderjährige, aber sehr aufregende Tochter verführt und hab kein bisschen Schiss.«
     
    Das Fieber brachte alles zurück, all diese Sätze, es verdoppelte sie, ließ sie auf mehreren Tonspuren gleichzeitig laufen, während Inez schwitzend im Bett lag, die Handflächen heiß. Aber die Ereignisse blieben entfernt von ihr, sie waren ein Hall von sehr weit unten.
    Sie fand nicht heraus, wie sie sich damals gefühlt hatte, als sie fünfzehn, sechzehn gewesen war. Wie es sich wirklich angefühlt

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