Sturz der Titanen
lag ein dicker roter Teppich, und die Wandvertäfelung war in Faltenfüllung gestaltet. Sie gingen zum Speisesaal für die Peers. Maud und Tante Herm saßen bereits am Tisch.
Das Mittagessen war Mauds Idee gewesen: Walter sei noch nie im Westminster Palace gewesen, hatte sie gesagt. Als Walter sich verbeugte und Maud ihn freundlich anlächelte, fragte sich Fitz, ob die beiden zarte Bande geknüpft hatten. Aber der Gedanke war absurd. Bei Maud war zwar mit allem zu rechnen, aber Walter war viel zu vernünftig, als dass er in Krisenzeiten eine englisch-deutsche Ehe in Betracht gezogen hätte. Außerdem verhielten sie sich eher wie Bruder und Schwester.
Als alle Platz genommen hatten, sagte Maud: »Ich war heute Morgen in deiner Säuglingsklinik, Fitz.«
Er zog die Brauen hoch. » Meiner Klinik?«
»Du zahlst dafür.«
»Wenn ich mich recht entsinne, hattest du zu mir gesagt, dass es im Eastend eine Klinik für alleinstehende Mütter geben sollte, und ich hatte dir beigepflichtet, und als Nächstes flatterten mir die Rechnungen auf den Schreibtisch.«
»Du bist sehr großzügig.«
Fitz erwiderte nichts darauf. Ein Mann in seiner Stellung hatte wohltätig zu sein, und da war es praktisch, dass Maud ihm die Arbeit abnahm. Er posaunte nicht herum, dass die meisten Mütter unverheiratet waren, um seine Tante, die Herzogin, nicht zu verletzen.
»Du errätst nie, wer heute Morgen gekommen ist«, fuhr Maud fort. »Williams, die ehemalige Haushälterin von Ty Gwyn.« Fitz durchlief es eiskalt. Maud fügte fröhlich hinzu: »Dabei haben wir erst gestern Abend von ihr gesprochen.«
Fitz bemühte sich, gelassen zu erscheinen. Wie die meisten Frauen konnte Maud in seinem Gesicht lesen, und er wollte nicht, dass sie erkannte, wie tief seine Beziehung zu Ethel wirklich gegangen war. Das wäre ihm peinlich gewesen.
Er wusste, dass Ethel in London lebte, in einem Haus in Aldgate, das Solman auf ihren Namen gekauft hatte. Aber warum hatte sie die Klinik aufgesucht? Ihr fehlte hoffentlich nichts? »Sie ist doch nicht krank, oder?«, fragte er und versuchte so zu klingen, als würde er sich nur aus Höflichkeit nach ihr erkundigen.
»Nichts Ernstes«, sagte Maud.
Fitz wusste, dass schwangere Frauen an vielen Wehwehchen litten. Bea hatte eine Blutung gehabt und war besorgt gewesen, doch Dr. Wallace hatte sie beruhigt: So etwas käme nach dem dritten Monat oft vor und habe in der Regel nichts zu bedeuten; sie solle sich nur nicht überanstrengen – als hätte bei Bea jemals diese Gefahr bestanden.
Walter sagte: »Ich kann mich an Williams erinnern, an ihre Locken und ihr freches Lächeln. Wer ist ihr Mann?«
»Ein Diener, der Ty Gwyn vor ein paar Monaten mit seinem Herrn besucht hat«, antwortete Maud. »Er heißt Teddy Williams.«
Fitz merkte, dass er rot anlief. Also nannte Ethel ihren erfundenen Ehemann Teddy! Er wünschte, Maud wäre ihr nicht begegnet. Er wollte Ethel vergessen. Doch sie ließ ihm keine Ruhe. Um seine Verlegenheit zu kaschieren, hielt er demonstrativ nach einem Kellner Ausschau.
Er sagte sich, er sollte nicht so empfindlich sein. Ethel war ein Dienstmädchen, er war ein Earl. Männer hohen Ranges hatten sich ihr Vergnügen stets überall dort genommen, wo sie es fanden. Das ging seit Jahrhunderten so, wahrscheinlich seit Jahrtausenden. Jede Gefühlsduselei in dieser Hinsicht war etwas für Dummköpfe.
Fitz wechselte das Thema, indem er wiederholte, was Walter über die Antwort des Kaisers gesagt hatte, zumal die Damen noch nichts davon gehört hatten.
»Du meine Güte«, sagte Maud und fügte inbrünstig hinzu: »Ich hoffe, Österreich kommt zur Vernunft!«
Fitz hob eine Augenbraue. »Warum so leidenschaftlich?«
»Ich will nicht, dass auf dich geschossen wird!«, rief sie. »Und ich will nicht, dass Walter unser Feind ist …« Die Stimme versagte ihr.
Fitz musterte sie. O Gott, was sind Frauen sentimental, dachte er.
Walter sagte: »Wissen Sie zufällig, Lady Maud, wie der Vorschlag Seiner Majestät von Asquith und Grey aufgenommen wurde?«
Maud riss sich zusammen. »Grey ist der Ansicht, dass er zusammen mit der von ihm angeregten Vier-Mächte-Konferenz einen Krieg verhindern könnte.«
»Ausgezeichnet!«, rief Walter. »Darauf habe ich gehofft.« Er wirkte jungenhaft in seiner Begeisterung, und der Ausdruck in seinem Gesicht erinnerte Fitz an ihre gemeinsame Schulzeit. Genauso hatte Walter ausgesehen, als er bei der Schulabschlussfeier mit dem Musikpreis ausgezeichnet worden war.
Tante
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