Sturz der Titanen
beklagte, hatten seine russischen Freunde ihm gesagt, er verprügle sie nicht oft genug.
»Aber es wäre den Majestäten peinlich, einen solchen Vorfall mitzuerleben«, erklärte Fitz. »Wie ich dir bereits gesagt habe, ist so etwas in England nicht üblich.«
»Als kleines Mädchen musste ich einmal zuschauen, wie drei Bauern gehenkt wurden«, entgegnete Bea. »Meine Mutter war dagegen, aber mein Großvater bestand darauf. Er sagte: ›Damit du erkennst, wie wichtig es ist, Diener schon bei den kleinsten Übertretungen zu verprügeln oder auszupeitschen, sonst begehen sie am Ende schwerere Sünden und enden auf dem Schafott.‹ Mit anderen Worten: Nachsicht den unteren Schichten gegenüber ist auf lange Sicht grausam.«
Fitz, der einer solchen Logik nichts entgegenzusetzen hatte, verlor allmählich die Geduld. Bea blickte auf eine sorgenfreie Kindheit in grenzenlosem Reichtum und Maßlosigkeit zurück, umgeben von Scharen gehorsamer Diener und Tausenden glücklicher Bauern. Würde ihr unbarmherziger Großvater noch leben, würde Bea dieses Leben vielleicht heute noch führen, aber ihr Vater, ein Trinker, und ihr Bruder Andrej, ein Schwächling, der immer nur das Holz verkaufte, ohne den Wald wieder aufzuforsten, hatten das Vermögen der Familie verprasst. »Die Zeiten haben sich geändert«, sagte Fitz. »Ich bitte dich … nein, ich befehle dir, mich nicht vor meinem König zu blamieren. Ich hoffe, damit sind alle Unklarheiten beseitigt.«
Fitz schloss die Tür hinter sich und schritt den breiten Gang hinunter. Er war verärgert und ein wenig traurig. Als sie noch frisch verheiratet gewesen waren, hatte ein solches Wortgeplänkel sein schlechtes Gewissen geweckt; heute ließ es ihn beinahe kalt. Ging das in allen Ehen so? Er wusste es nicht.
Ein hochgewachsener Hausdiener, der einen Türknauf polierte, erblickte Fitz und stellte sich mit dem Rücken zur Wand, die Augen niedergeschlagen, wie es üblich war bei den Dienstboten auf Ty Gwyn, wenn der Earl vorbeiging. In manchen vornehmen Häusern musste die Dienerschaft sich zur Wand drehen, aber das hielt Fitz denn doch für ein bisschen zu feudal. Fitz erkannte den Mann; er hatte ihn bei einem Cricketmatch zwischen der Dienerschaft von Ty Gwyn und den Bergarbeitern von Aberowen spielen sehen. Er hieß Morrison und war ein guter linkshändiger Schlagmann. »Morrison«, sprach Fitz ihn an, »rufen Sie Peel und Mrs. Jevons in die Bibliothek.«
»Sehr wohl, Mylord.«
Fitz ging zur großen Treppe. Er hatte Bea geehelicht, weil sie ihn bezaubert hatte, doch es gab noch einen anderen, nüchternen Grund: Fitz träumte davon, eine große englisch-russische Dynastie zu gründen, die über weite Teile der Erde herrschte, so wie die Habsburger, die jahrhundertelang fast ganz Europa regiert hatten.
Aber dazu brauchte es einen Erben. Und Beas Laune deutete stark darauf hin, dass sie ihn heute Nacht in ihrem Bett nicht willkommen heißen würde. Sicher, er konnte darauf bestehen, aber das machte keinen Spaß. Nur, es war jetzt schon zwei Wochen her, dass er Bea das letzte Mal beglückt hatte. Nicht dass er sich eine Frau wünschte, die scharf auf ihn gewesen wäre, wie der Pöbel sich so grässlich auszudrücken pflegte, aber zwei Wochen ohne Frau, das war schon eine lange, lange Zeit.
Fitz dachte an seine Schwester Maud, dreiundzwanzig Jahre alt und noch immer unverheiratet. Andererseits, wenn Maud Kinder hätte, würden sie vermutlich zu fanatischen Sozialisten erzogen werden, die den Reichtum der Familie verschleuderten, indem sie aufrührerische Traktate druckten.
Jedenfalls, Fitz war jetzt seit drei Jahren verheiratet und machte sich allmählich Sorgen. Bea war nur einmal schwanger geworden, im vergangenen Jahr, und hatte gegen Ende des dritten Monats eine Fehlgeburt erlitten – unmittelbar nachdem sie sich wieder einmal gestritten hatten. Fitz hatte eine geplante Reise nach Sankt Petersburg abgesagt, und Bea hatte sich furchtbar darüber aufgeregt und unter Tränen verlangt, zurück in die russische Heimat zu dürfen. Fitz hatte sich zwar durchgesetzt – schließlich durfte ein Mann nicht zulassen, dass seine Frau darüber bestimmte, was er tun sollte und was nicht –, aber als Bea dann die Fehlgeburt erlitt, hatte Fitz sich schuldig gefühlt. Wenn sie doch nur wieder schwanger würde! Dann würde er dafür sorgen, dass nichts und niemand sie aufregte, bis das Kind geboren war.
Fitz schob diese Gedanken beiseite, ging in die Bibliothek, setzte sich an den
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