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Sturz der Titanen

Titel: Sturz der Titanen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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stützte sich auf einen Ellbogen und betrachtete sie, die langen blonden Wimpern, das hübsche Gesicht, die rosigen, tränenfeuchten Wangen. »J’ai peur« , schluchzte sie. »Ich hab Angst.«
    Fitz strich ihr übers Haar. »Calme-toi« , sagte er. »Beruhige dich.« Von Frauen wie Gini hatte er mehr Französisch gelernt als während seiner ganzen Schulzeit. Gini war die Kurzform von Ginette, aber selbst das klang wie erfunden. Wahrscheinlich trug sie in Wahrheit einen ganz prosaischen Namen. Françoise, zum Beispiel.
    Der Morgen war schön, und durch das offene Fenster wehte ein warmer Wind in Ginis Zimmer. Fitz hörte keinen Geschützdonner, kein Stiefelgetrampel auf den Pflastersteinen. »Noch ist Paris nicht gefallen, chérie «, murmelte er besänftigend, erweckte damit aber nur weitere Schluchzer.
    Er blickte auf die Armbanduhr. Halb neun. Um zehn Uhr musste er unbedingt wieder am Hotel sein.
    »Wenn die Deutschen kommen«, fragte Gini, »kümmerst du dich dann um mich?«
    »Natürlich«, sagte er und unterdrückte aufkeimende Schuldgefühle. Wenn er konnte, würde er ihr helfen, aber oberste Priorität hatte es nicht.
    »Kommen sie?«, fragte Gini mit leiser Stimme.
    Fitz hätte es gerne gewusst. Das deutsche Heer war doppelt so stark wie vom französischen Geheimdienst vorhergesagt. Unaufhaltsam hatte es jede Schlacht gewonnen und Nordostfrankreich im Sturm erobert. Nun stand die Menschenlawine nördlich von Paris – wie weit genau im Norden, würde Fitz in den nächsten Stunden erfahren.
    »Es heißt, die Stadt wird gar nicht verteidigt«, schluchzte Gini. »Stimmt das?«
    Auch auf diese Frage wusste Fitz keine Antwort. Wenn Paris Widerstand leistete, würde die deutsche Artillerie die Stadt in Schutt und Asche legen. Die weltberühmten Bauwerke würden vom Antlitz der Erde verschwinden, in den breiten Boulevards würden Granattrichter klaffen, und die Bistros und Boutiquen würden in Trümmer sinken. Beinahe wünschte man sich die französische Kapitulation, damit diese einzigartige Stadt dem Bombardement entging. »Vielleicht wäre es das Beste für dich«, sagte Fitz und fügte lächelnd hinzu: »Dann angelst du dir einen dicken preußischen General, Frollein .«
    »Ich will aber keinen Preußen.« Ihre Stimme sank zu einem Flüstern herab. »Ich liebe dich.«
    Vielleicht sagte sie die Wahrheit; vielleicht sah sie in ihm aber auch nur die Fahrkarte, mit der sie aus Paris herauskam. Jeder, der die Möglichkeit hatte, verließ die Stadt, aber einfach war es nicht. Die meisten privaten Automobile waren requiriert worden, und auch die Eisenbahnen konnten jederzeit in Beschlag genommen werden, sodass man die zivilen Passagiere mitten im Nirgendwo aus den Waggons scheuchte. Für eine Taxifahrt nach Bordeaux zahlte man fünfzehnhundert Franc, den Preis für ein kleines Haus.
    »Vielleicht kommt es gar nicht so weit«, sagte Fitz. »Die Deutschen werden erschöpft sein. Sie sind seit einem Monat auf dem Vormarsch und haben ununterbrochen gekämpft. Sie können nicht ewig so weitermachen.«
    Beinahe glaubte er es selbst. Die Franzosen hatten harte Rückzugsgefechte geliefert. Das Heer war abgekämpft, ausgehungert und demoralisiert, aber es hatten sich nur wenige französische Soldaten gefangen nehmen lassen, und kaum ein Geschütz war in Feindeshand gefallen. Der unerschütterliche französische Oberbefehlshaber, Général Joffre, hatte die Entente-Kräfte zusammengehalten und sich auf eine Linie südöstlich von Paris zurückgezogen, wo die Armeen sich neu formierten. Außerdem hatte er ohne Erbarmen hohe französische Offiziere abgelöst, die seine Erwartungen enttäuscht hatten: zwei Armeeoberbefehlshaber, sieben Armeekorpskommandeure und Dutzende andere.
    Doch die Deutschen wussten nichts davon. Fitz hatte entschlüsselte deutsche Funkmeldungen gelesen, die auf ein Überschätzen der eigenen Möglichkeiten hindeuteten. Die deutsche Oberste Heeresleitung hatte sogar Truppen aus Frankreich abgezogen und sie als Verstärkungen nach Ostpreußen entsandt. Fitz hielt es für möglich, dass die OHL damit einen Fehler begangen hatte. Die Franzosen waren noch nicht am Ende.
    Bei den Briten war er sich da nicht so sicher.
    Das britische Expeditionskorps, kurz BEF , bestand nur aus fünfeinhalb Divisionen; Frankreich führte siebzig Divisionen ins Feld. Die Briten hatten bei Mons tapfer gekämpft, hatten aber in nur fünf Tagen fünfzehntausend ihrer insgesamt hunderttausend Mann verloren und den Rückzug

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