Sturz der Titanen
noch nicht erreicht hatte, eine Nachricht an den Botschafter, in der er von Galliénis Bekanntmachung berichtete.
Als er aus der Telefonzelle trat, begegnete er Colonel Hervey.
Hervey warf einen Blick auf Fitz’ Smoking und fuhr ihn an: »Major Fitzherbert! Was soll dieser Aufzug, zum Teufel?«
»Guten Morgen, Colonel«, erwiderte Fitz, ohne auf die Frage einzugehen; schließlich war offenkundig, dass er die Nacht woanders verbracht hatte.
»Es ist neun Uhr morgens! Wussten Sie nicht, dass wir im Krieg sind?«
Eine weitere Frage, die keiner Antwort bedurfte. Kühl entgegnete Fitz: »Kann ich etwas für Sie tun, Sir?«
Hervey war ein Tyrann, der jeden hasste, den er nicht einschüchtern konnte.
»Zügeln Sie Ihre Unverschämtheit, Major«, sagte er. »Wir haben alle Hände voll zu tun mit verdammten Besuchern aus London, die sich in alles einmischen.«
Fitz zog eine Braue hoch. »Lord Kitchener ist Kriegsminister, Sir.«
»Die Politiker sollen uns gefälligst unsere Pflicht tun lassen. Aber jemand mit Freunden ganz oben hat sie in helle Aufregung versetzt.« Er blickte Fitz an, als verdächtige er ihn, aber ihm fehlte der Mut, es auszusprechen.
»Es kann Sie doch kaum überrascht haben, wenn das Kriegsministerium sich Gedanken macht«, erwiderte Fitz. »Zehn Tage Ruhe, wo die Deutschen vor den Toren stehen!«
»Die Männer sind erschöpft!«
»In zehn Tagen ist der Krieg vielleicht zu Ende. Wozu sind wir hier, wenn nicht zur Rettung von Paris?«
»Kitchener hat Sir John im entscheidenden Augenblick von seinem Hauptquartier getrennt«, ereiferte Hervey sich.
»Sir John hatte es aber nicht sehr eilig, zur Truppe zurückzukehren«, erwiderte Fitz. »Mir ist aufgefallen, dass er am fraglichen Abend hier im Ritz gespeist hat.« Er wusste, dass er unverschämt war, konnte sich aber nicht zügeln.
»Gehen Sie mir aus den Augen«, sagte der Adjutant.
Fitz machte auf dem Absatz kehrt und ging nach oben.
Er war längst nicht so gelassen, wie er sich gab. Nichts hätte ihn dazu bringen können, vor einem Idioten wie Hervey zu katzbuckeln; andererseits war ihm eine erfolgreiche militärische Laufbahn sehr wichtig. Ihm war der Gedanke zuwider, die Leute könnten sagen, er sei nicht der Mann, der sein Vater gewesen war. Hervey nützte dem Heer nicht allzu viel, weil er seine Zeit und Energie damit vergeudete, seine Günstlinge zu fördern und gegen seine Rivalen zu intrigieren. Zugleich konnte er Männer ruinieren, die sich auf andere Dinge konzentrierten – zum Beispiel darauf, den Krieg zu gewinnen.
In düstere Gedanken versunken, badete Fitz, rasierte sich und kleidete sich in die Khakiuniform eines Majors der Welsh Rifles. Da er wusste, dass er bis zum Abendessen vielleicht nichts mehr zwischen die Zähne bekam, bestellte er sich ein Omelette und Kaffee auf seine Suite.
Um Punkt zehn Uhr begann sein Dienst, und er verbannte Herveys Niederträchtigkeiten aus seinen Gedanken. Lieutenant Murray, ein scharfsinniger junger Schotte, kam aus dem britischen Hauptquartier und brachte Berichte der morgendlichen Luftaufklärung zusammen mit dem Staub der Landstraßen in Fitz’ Suite.
Fitz übersetzte das Dokument rasch ins Französische und schrieb in seiner klaren, geschwungenen Schrift den Bericht auf blassblaues Hotel-Ritz-Papier. Jeden Morgen überflogen britische Flugzeuge die deutschen Stellungen und erkundeten, in welche Richtung die feindlichen Verbände sich bewegten. Zu Fitz’ Aufgaben gehörte es, die Berichte schnellstmöglich an Général Galliéni zu übermitteln.
Als Fitz wieder das Foyer durchquerte, sprach ihn der Chefportier an: Er werde am Telefon verlangt.
Die Stimme, die mit den Worten »Fitz, bist du das?« aus dem Hörer drang, klang fern und verzerrt, doch zu seinem Erstaunen gehörte sie ohne Zweifel seiner Schwester Maud.
»Wie hast du das denn geschafft?«, fragte er. Nur die Regierung und das Militär konnten von London aus Paris erreichen.
»Ich rufe aus Johnny Remarcs Büro im Kriegsministerium an.«
»Schön, deine Stimme zu hören«, sagte Fitz. »Wie geht es?«
»Hier machen sich alle schreckliche Sorgen«, erwiderte Maud. »Zuerst haben die Zeitungen immer nur gute Neuigkeiten gedruckt. Aber wer sich in Geografie auskennt, der konnte schnell erkennen, dass die Deutschen nach jedem Sieg der tapferen Franzosen wieder fünfzig Meilen tiefer nach Frankreich vorgedrungen waren. Am Sonntag hat die Times dann eine Sonderausgabe veröffentlicht. Ist das nicht seltsam? Die
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