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Sturz der Titanen

Titel: Sturz der Titanen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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aus dieser Richtung herangestürmt. Entsetzen spiegelte sich auf ihren Gesichtern. Sie liefen um ihr Leben. Bobrow, der inzwischen neben Grigori stand, stieß hervor: »Was, zum Teufel …«
    Grigori erkannte, dass ihre Flanke angegriffen wurde.
    Bobrow brüllte: »Die Stellung halten! In Deckung gehen! Feuer erwidern!«
    Niemand hörte mehr auf ihn. Die Fliehenden stürmten in wilder Unordnung durch den Wald. Grigoris Kameraden schlossen sich ihnen an und rannten in Richtung Norden.
    »Die Stellung halten!«, brüllte Bobrow mit überkippender Stimme und zog seine Pistole. »Haltet die Stellung, verdammt!« Er zielte auf die Soldaten, die an ihm vorbeistürmten. »Ihr feigen Schweine! Deserteure! Ich werde euch …« Ein Knall ließ Bobrow abrupt verstummen. Blut tränkte sein silbernes Haar, und er kippte haltlos zu Boden, von einer deutschen oder russischen Kugel getroffen.
    Grigori wirbelte herum und rannte in die gleiche Richtung wie die anderen.
    Auf allen Seiten wurde nun geschossen. Grigori wusste nicht, wer auf wen feuerte. Die Russen verteilten sich im Wald, und nach und nach verhallten die Kampfgeräusche. Grigori rannte, so weit seine Beine ihn trugen; dann stürzte er in welkes Laub und blieb schwer atmend liegen. Er konnte nicht mehr. Lange Zeit lag er einfach nur da, dachte an nichts, fühlte nichts. Irgendwann wurde ihm klar, dass er noch immer sein Gewehr dabeihatte. Seltsam. Warum hatte er es nicht einfach fallen lassen?
    Schließlich stand er wankend auf. Erst jetzt bemerkte er, dass mit seinem rechten Ohr etwas nicht stimmte. Er griff danach und schrie vor Schmerz auf. Seine Finger waren voller Blut. Vorsichtig berührte er das Ohr noch einmal und stellte zu seinem Entsetzen fest, dass ein großer Teil davon fehlte. Irgendwann hatte eine Kugel ihm das Ohrläppchen abgerissen, ohne dass er es bemerkt hatte.
    Grigori überprüfte sein Gewehr. Das Magazin war leer. Er lud nach und sicherte die Waffe, auch wenn er nicht wusste, warum. Er traf ja sowieso nicht.
    Grigori vermutete, dass seine Kameraden in einen Hinterhalt geraten waren. Man hatte sie herangelockt, bis sie umzingelt waren; dann hatten die Deutschen die Falle zuschnappen lassen.
    Was sollte er tun? Niemand war zu sehen; also konnte er keinen Offizier um Befehle bitten. Aber er konnte auch nicht bleiben, wo er war. Seine Einheit war auf dem Rückzug, so viel stand fest; also sollte auch er zurückweichen. Und falls von den russischen Truppen noch etwas übrig war, dann im Osten.
    Grigori drehte sich um, sodass er die untergehende Sonne im Rücken hatte, und ging los. So leise er konnte, bewegte er sich durch den Wald, da er nicht wusste, wo die Deutschen steckten. Er fragte sich, ob das ganze Korps, vielleicht sogar die ganze Armee vernichtet worden war, und ihm wurde bewusst, dass er in diesem Wald durchaus verhungern konnte.
    Nach einer Stunde machte er Halt, um aus einem Bach zu trinken. Er überlegte, ob er seine Wunde auswaschen sollte, beschloss dann aber, sie lieber nicht anzurühren. Nachdem er getrunken hatte, rastete er kurz, indem er sich auf den Boden hockte und die Augen schloss. Bald würde die Dunkelheit hereinbrechen. Zum Glück war es trocken, und er konnte auf dem Boden schlafen.
    Grigori war halb eingedöst, als er plötzlich ein Geräusch hörte. Als er die Augen öffnete, sah er entsetzt, dass keine zehn Meter von ihm entfernt ein deutscher Kavallerist langsam zwischen den Bäumen hindurchritt. Der Mann hatte Grigori nicht bemerkt.
    Leise und vorsichtig griff Grigori nach seinem Gewehr, entsicherte es, kniete sich hin und zielte sorgfältig auf den Rücken des Deutschen. Der Mann war nun knapp fünfzehn Meter von ihm entfernt, im Nahbereich für einen Schuss mit dem Gewehr.
    Im letzten Moment meldete sich der sechste Sinn des Deutschen, und er drehte sich im Sattel um.
    Grigori drückte ab.
    Der Schuss krachte ohrenbetäubend durch die Stille des Waldes. Das Pferd machte einen Satz nach vorne. Der Deutsche kippte zur Seite und schlug auf dem Boden auf, doch ein Fuß blieb im Steigbügel hängen. Das Pferd schleifte ihn hundert Meter durchs Unterholz, wurde dann langsamer und blieb stehen.
    Grigori lauschte, falls der Schuss die Aufmerksamkeit anderer erregt hatte. Er hörte nichts; nur eine sanfte Abendbrise ließ die Blätter rascheln.
    Vorsichtig näherte Grigori sich dem Pferd, hob das Gewehr und zielte auf den Deutschen, doch seine Vorsicht war unbegründet. Der Mann rührte sich nicht mehr. Sein Gesicht war nach

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