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Sturz der Titanen

Titel: Sturz der Titanen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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Tageszeitung ist voller Lügen, sodass die Wahrheit in einer Sonderausgabe erscheinen muss.«
    Sie versuchte geistreich und zynisch zu sein, aber Fitz spürte die Angst und die Wut dahinter. »Was stand denn in dieser Sonderausgabe?«
    »Es wurde von unserer ›gebrochenen Armee auf dem Rückzug‹ berichtet. Asquith ist außer sich vor Wut. Jetzt rechnen alle jeden Tag damit, dass Paris fällt.« Ihre Fassade bekam Risse, und sie sagte schluchzend: »Fitz, dir wird doch nichts passieren?«
    Er konnte seine Schwester nicht anlügen. »Das weiß ich nicht. Die französische Regierung ist jetzt in Bordeaux. Sir John French wurde gerügt, ist aber noch hier.«
    »Sir John hat sich beim Kriegsministerium beschwert, dass Lord Kitchener in der Uniform eines Feldmarschalls nach Paris gekommen ist. Das sei ein Verstoß gegen die Etikette, da der Lord nun Minister und folglich Zivilist sei.«
    »Er zerbricht sich den Kopf über Etikette? Du lieber Himmel! Warum hat man ihn nicht abgelöst?«
    »Johnny sagt, das würde wie ein Eingeständnis unseres Versagens aussehen.«
    »Und wie sieht es aus, wenn die Deutschen in Paris einmarschieren?«
    »Ach, Fitz!« Maud brach in Tränen aus. »Was soll nur aus dem Baby werden, das Bea erwartet … deinem Kind?«
    »Wie geht es Bea?«, fragte Fitz und dachte schuldbewusst daran, wo er die Nacht verbracht hatte.
    Maud schniefte. Ein wenig ruhiger antwortete sie: »Bea sieht großartig aus, und sie leidet auch nicht mehr ständig an Übelkeit.«
    »Sag ihr, dass ich sie vermisse.«
    Die Störungen in der Leitung übertönten seine Worte, und ein paar Sekunden lang hörte Fitz eine andere Stimme; dann verschwand sie wieder. Das bedeutete, dass sie jede Sekunde getrennt werden konnten.
    Als er Maud wieder hörte, klang ihre Stimme kläglich. »Ach, Fitz, wann hört das auf?«
    »Innerhalb der nächsten Tage«, antwortete er. »So oder so.«
    »Pass auf dich auf!«
    »Natürlich.«
    Die Leitung war tot.
    Fitz hängte ein, gab dem Chefportier ein Trinkgeld, trat hinaus auf die Place Vendôme, stieg in seinen Wagen und fuhr davon. Mauds Bemerkungen über Bea hatten ihn nervös gemacht. Fitz war bereit, für sein Land zu sterben, und hoffte, dass er sich als tapfer erwies, falls es so weit kam, aber unendlich viel wichtiger war ihm, sein Baby zu sehen. Er wurde zum ersten Mal Vater und wünschte sich nichts so sehr, wie sein Kind kennenzulernen und zu sehen, wie es lernte und aufwuchs. Er wollte ihm helfen, erwachsen zu werden. Sein Sohn oder seine Tochter sollte auf keinen Fall ohne Vater aufwachsen müssen.
    Fitz überquerte die Seine und näherte sich den Les Invalides, einem Komplex aus Militärbauten. Galliéni hatte sein Hauptquartier unweit davon in einer Schule aufgeschlagen, die Lycée Victor-Duruy hieß und ein wenig abseits der Straße hinter Bäumen stand. Der Zugang wurde von Posten in hellblauen Uniformjacken und roten Hosen mit roten Mützen bewacht, die viel schmucker aussahen als die britischen Soldaten in ihrem schlammfarbenen Khaki. Die Franzosen hatten noch nicht begriffen, dass die Treffgenauigkeit moderner Gewehre den Soldaten zwang, mit der Landschaft zu verschmelzen, wenn er überleben wollte.
    Fitz war bei den Posten gut bekannt und konnte sofort eintreten. Das Gebäude war ein Mädchengymnasium gewesen; die Wände hingen voller Zeichnungen von Schoßtieren und Blumen, und auf beiseitegelegten Tafeln standen durchkonjugierte lateinische Verben. Die Gewehre der Posten und die Stiefeltritte der Offiziere erschienen wie ein Affront gegen die stille, dezente Vornehmheit derer, die zuvor diese Flure durchschritten hatten.
    Fitz ging sofort in den Lageraum. Kaum war er eingetreten, bemerkte er die aufgeregte Stimmung. An einer Wand hing eine große Karte von Zentralfrankreich, auf der die Stellungen der einzelnen Armeen mit Nadeln markiert waren. Galliéni war ein großer, dünner Mann, der trotz des Prostatakrebses, der ihn im Februar gezwungen hatte, seinen Abschied zu nehmen, kerzengerade dastand. Nachdem er nun wieder Uniform trug, blickte er durch seinen Kneifer aggressiv auf die Karte.
    Fitz salutierte, tauschte einen Händedruck mit seinem Gegenstück in Galliénis Stab, Colonel Dupuys, und erkundigte sich leise nach dem Stand der Dinge.
    »Wir verfolgen von Kluck«, antwortete Dupuys.
    Galliéni verfügte über eine Staffel aus neun alten Flugzeugen, mit denen er die Bewegungen des vorrückenden deutschen Heeres beobachten ließ. Generaloberst Alexander von Kluck war

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