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Sturz der Titanen

Titel: Sturz der Titanen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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werden mussten. Die Franzosen hingegen hatten in diesem Frontabschnitt großzügigen Entsatz erhalten und brauchten sich um Nachschub kaum Gedanken zu machen, da sie auf heimischem Territorium kämpften.
    Doch Fitz’ Hoffnungen kehrten sich ins Gegenteil um, als die Briten fünf Meilen nördlich der Marne haltmachten. Wieso stoppte Sir John den Vormarsch? Es hatte kaum Widerstand gegeben!
    Doch die Deutschen schienen die Zögerlichkeit der Briten nicht zu bemerken, denn sie setzten ihren Rückzug fort. Wieder keimte im Lyzeum Hoffnung auf.
    Als vor den Schulfenstern die Schatten der Bäume länger wurden und die letzten Berichte des Tages eintrafen, breitete sich in Galliénis Stab ein gedämpftes Hochgefühl aus, das sich in Jubel verwandelte, als die Deutschen am Abend auf der Flucht waren.
    Fitz konnte es kaum glauben. Die Verzweiflung von vor einer Woche war zu Hoffnung geworden. Er saß auf einem Stuhl, der für ihn zu niedrig war, und starrte auf die Karte an der Wand. Vor sieben Tagen war die deutsche Linie wie das Sprungbrett für ihren letzten Angriff erschienen; jetzt erschien sie wie eine Mauer, vor der sie mit dem Rücken standen.
    Als die Sonne hinter dem Eiffelturm versank, hatte die Entente zwar noch keinen echten Sieg errungen, aber zum ersten Mal seit Wochen war der deutsche Vormarsch zum Stillstand gekommen.
    Dupuys umarmte Fitz und küsste ihn auf beide Wangen, und diesmal störte Fitz sich nicht allzu sehr daran.
    »Wir haben sie aufgehalten«, sagte Galliéni, und zu Fitz’ Überraschung schimmerten Tränen hinter dem Kneifer des alten Générals. »Wir haben sie aufgehalten.«

    Schon bald nach der Marneschlacht hob man auf beiden Seiten Schützengräben aus.
    Die Septemberwärme wich dem kalten, deprimierenden Oktoberregen. Der Stillstand am östlichen Ende der Front breitete sich unaufhaltsam nach Westen aus, so, wie Lähmung immer mehr den Körper eines Sterbenden erfasst.
    Die entscheidende Schlacht des Herbstes war der Kampf um die belgische Stadt Ypern am westlichen Ende der Front, zwanzig Meilen von der Küste. Das deutsche Heer setzte alles auf eine Karte, um die Flanke des britischen Expeditionskorps zu umgehen und es vom Nachschub abzuschneiden. Vier Wochen lang tobten die Kämpfe. Im Unterschied zu allen anderen bisherigen Gefechten war die Ypernschlacht statisch: Die Soldaten beider Seiten suchten in Schützengräben Deckung vor der feindlichen Artillerie und kamen nur zu selbstmörderischen Vorstößen gegen die feindlichen Maschinengewehrnester hervor. Das britische Expeditionskorps wurde am Ende von Verstärkungen gerettet, darunter ein Armeekorps indischer Sepoys mit braunen Gesichtern, die in ihren Tropenuniformen vor Kälte bibberten. Als die Schlacht vorüber war, beklagte Großbritannien fünfundsiebzigtausend Tote, und das Expeditionskorps war zerschlagen, doch die Entente hatte Abwehrstellungen von der Schweizer Grenze bis zum Ärmelkanal errichtet, und der deutsche Vormarsch war endgültig zum Erliegen gekommen.
    Am 24. Dezember befand Fitz sich im britischen Hauptquartier in St. Omer unweit von Calais und wälzte düstere Gedanken. Ihm ging nicht aus dem Kopf, wie aalglatt er und andere Offiziere den Männern versichert hatten, sie wären zu Weihnachten wieder zu Hause. Jetzt schien es, als könnte der Krieg noch ein Jahr oder sogar länger dauern. Die feindlichen Heere hockten Tag für Tag in ihren Stellungen bei schlechter Verpflegung, bekamen Ruhr, Fußbrand und Läuse und erschlugen vereinzelt die Ratten, die sich an den Leichen, von denen das Niemandsland übersät war, dick und fett fraßen. Fitz war es einst sehr einleuchtend erschienen, weshalb Großbritannien in den Krieg ziehen musste, doch heute vermochte er sich dieser Gründe nicht mehr zu erinnern.
    An diesem Tag endete der Regen, und das Wetter kühlte ab. Sir John French warnte alle Einheiten vor, dass der Feind eine Weihnachtsoffensive beabsichtige. Diese Warnung war bloß vorgetäuscht, das wusste Fitz: Sie gründete sich auf keinerlei Aufklärungsergebnisse. In Wahrheit wollte der Field Marshal nur nicht, dass die Männer am Weihnachtstag in ihrer Wachsamkeit nachließen.
    Jeder Soldat sollte ein Geschenk von Prinzessin Mary erhalten, der siebzehnjährigen Tochter des Königspaars. Es bestand aus einer geprägten Messingdose, die Tabak und Zigaretten, eine Fotografie der Prinzessin und einen Weihnachtsgruß des Königs enthielt. Nichtraucher, Sikhs und Krankenschwestern bekamen Geschenke ohne

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