Sturz der Titanen
in seinem Rolls-Royce – einem großen, geschlossenen Automobil –, nach Ty Gwyn chauffieren lassen. Des Königs Kammerherr, Sir Alan Tite, würde mit dem restlichen Begleitpersonal und dem Gepäck in mehreren Pferdewagen folgen. Vor Ty Gwyn nahm bereits zu beiden Seiten der Zufahrtsstraße eine Ehrenkompanie der Welsh Rifles Aufstellung.
Erst am Montagmorgen würde das Königspaar vor seine Untertanen treten. Geplant war eine Rundreise im offenen Wagen durch die umliegenden Dörfer, gefolgt von einem Halt im Rathaus von Aberowen, wo der Bürgermeister und die Ratsherren den Majestäten vorgestellt werden sollten, ehe diese sich zum Bahnhof begaben.
Die anderen Gäste trafen ab Mittag ein. Peel stand in der Halle und teilte ihnen Zimmermädchen zu, die sie zu ihren Räumen führen sollten, sowie Diener, die das Gepäck trugen. Als Erste kamen Fitz’ Onkel und Tante, der Herzog und die Herzogin von Sussex. Der Herzog war ein Cousin des Königs und eingeladen worden, damit der Monarch sich mehr zu Hause fühlte. Die Herzogin war Fitz’ leibliche Tante und interessierte sich wie die meisten Angehörigen der Familie sehr für Politik. In ihrem Londoner Haus unterhielt sie einen Salon, der regelmäßig von den Ministern aufgesucht wurde.
Die Herzogin ließ Ethel wissen, König George V . sei »ein wenig von Uhren besessen« und fände es unerträglich, wenn verschiedene Uhren im gleichen Haus unterschiedliche Zeiten anzeigten. Ethel fluchte stumm in sich hinein: Auf Ty Gwyn gab es mehr als hundert Uhren. Sie lieh sich Mrs. Jevons’ Taschenuhr und machte sich auf einen Rundgang durchs Haus, um die Uhren in sämtlichen Zimmern auf ein und dieselbe Zeit zu stellen.
Im kleinen Esszimmer begegnete sie dem Earl. Er stand am Fenster und wirkte verstört. Ethel musterte ihn einen Augenblick lang. Er war der stattlichste Mann, den sie je gesehen hatte. Sein blasses Gesicht, vom weichen Licht der Wintersonne beschienen, hätte aus weißem Marmor gemeißelt sein können. Sein Kinn war kantig, die Jochbeine hoch, die Nase gerade. Er hatte dunkles Haar und grüne Augen – eine ungewöhnliche Kombination – und trug weder Vollbart noch Schnauzer, nicht einmal Koteletten. Aber wenn man so ein wunderschönes Gesicht hat, überlegte Ethel, gibt es ja auch keinen Grund, es unter Haaren zu verbergen.
Fitz bemerkte ihren Blick. »Ich habe gerade erfahren, dass der König gerne eine Schale mit Apfelsinen in seinem Zimmer stehen hat«, sagte er. »Aber im ganzen verdammten Haus gibt es keine einzige Orange.«
Ethel runzelte die Stirn. Kein Obsthändler in Aberowen und den anderen Städten in den südwalisischen Tälern hatte außerhalb der Saison Apfelsinen vorrätig; ihre Kunden konnten sich solchen Luxus nicht leisten. »Wenn ich das Telefon benutzen dürfte, Mylord, könnte ich mit ein, zwei Obsthändlern in Cardiff sprechen«, sagte sie. »Vielleicht haben sie Apfelsinen.«
»Aber wie sollen die Früchte hierherkommen?«
»Ich werde darum bitten, dass sie einen Korb mit dem Zug mitschicken tun.« Ethel blickte auf die Uhr, die sie soeben hatte stellen wollen. »Mit ein bisschen Glück kommen die Orangen gleichzeitig mit dem König an.«
»Das ist es!«, sagte Fitz. »So machen wir es!« Er schaute Ethel in die Augen. »Sie sind erstaunlich«, sagte er. »Ich weiß nicht, ob ich je einem Mädchen wie Ihnen begegnet bin.«
Fest erwiderte sie seinen Blick. In den vergangenen beiden Wochen hatte er öfters so zu ihr gesprochen, allzu vertraulich und ein bisschen zu überschwänglich. Ethel hatte ein merkwürdiges Gefühl dabei, eine Mischung aus Unbehagen und freudiger Erwartung, als könnte jede Sekunde etwas gefährlich Aufregendes geschehen. Es war wie in einem Märchen, wenn der Prinz das verzauberte Schloss betrat.
Das Geräusch von Rädern vor dem Haus brach den Bann; dann war eine vertraute Stimme zu vernehmen. »Peel! Wie schön, Sie wiederzusehen.«
Fitz schaute aus dem Fenster und zog ein sonderbares Gesicht. »Das hat mir noch gefehlt«, sagte er. »Meine Schwester!«
»Willkommen zu Hause, Lady Maud«, hörten sie Peels Stimme. »Wir haben Sie gar nicht erwartet.«
»Der Earl hat vergessen, mich einzuladen, aber ich bin trotzdem gekommen.«
Ethel verkniff sich ein Lächeln. Fitz liebte seine lebhafte Schwester über alles, war aber befangen im Umgang mit ihr. Ihre politischen Ansichten waren beunruhigend liberal: Sie war eine Suffragette und zog militant für das Wahlrecht der Frauen ins Feld. Ethel fand Lady
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