Sturz der Titanen
Diplomat; sein Vater gehörte zu den ältesten Freunden des deutschen Kaisers. Auch Robert von Ulrich besaß gute Beziehungen: Er stand dem Erzherzog Franz Ferdinand nahe, dem Thronerben der Doppelmonarchie Österreich-Ungarn. Ein weiterer Gast, der in gehobenen Kreisen verkehrte, war der hochgewachsene junge Amerikaner, der sich gerade mit der Herzogin unterhielt. Er hieß Gus Dewar; sein Vater, ein Senator, war ein enger Berater des amerikanischen Präsidenten Woodrow Wilson. Fitz fand, seine Sache gut gemacht zu haben, indem er diese Gruppe junger Männer auf Ty Gwyn versammelt hatte – die Regierungselite der Zukunft. Er war guter Hoffnung, dass der König zufrieden mit ihm war.
Gus Dewar war liebenswürdig, aber ungelenk. Er ging leicht gebückt, als wäre er lieber kleiner und weniger auffällig gewesen, und er schien ein bisschen unsicher zu sein, doch er behandelte jeden mit ausgewählter Höflichkeit. »Das amerikanische Volk sorgt sich mehr um seine inneren Angelegenheiten als um Außenpolitik«, sagte er soeben zur Herzogin. »Aber Präsident Wilson ist ein Liberaler, und als solcher wird er eher mit Demokratien wie Frankreich und Großbritannien sympathisieren, weniger mit autoritären Monarchien wie Österreich-Ungarn und Deutschland.«
In diesem Augenblick öffneten sich die Flügeltüren. Stille breitete sich aus, als König und Königin eintraten. Fürstin Bea machte einen Hofknicks, Fitz verbeugte sich, und alle anderen taten es ihnen gleich. Ein paar Sekunden lang herrschte verlegenes Schweigen, denn niemand durfte reden, ehe das Königspaar das Wort ergriffen hatte. Schließlich sagte der König zu Bea: »Ich war vor zwanzig Jahren schon einmal in diesem Haus, wissen Sie«, woraufhin die Anwesenden sich ein wenig entspannten.
George V . war ein adretter Mann, bemerkte Fitz, während er und seine Gemahlin mit dem Königspaar parlierten. Sein Bart war säuberlich geschnitten und sein Haar wich zurück, bedeckte seinen Kopf aber noch ausreichend, um es mit einem Scheitel zu teilen, der wie mit dem Lineal gezogen aussah. Die eng anliegende Abendkleidung betonte seine schlanke Figur: Anders als sein Vater, Edward VII ., war er kein Feinschmecker. George entspannte sich bei Hobbys, die Präzision verlangten: Er sammelte Briefmarken und sortierte sie peinlich genau in Alben, ein Zeitvertreib, den die respektlosen Londoner Intellektuellen mit Spott bedachten.
Die Königin, Tochter eines deutschen Herzogs, war eine stattlichere Erscheinung. Ihre Locken ergrauten, und ihr Mund wirkte ein wenig verkniffen. Sie hatte üppige Brüste, die durch den modischen, außerordentlich tiefen Ausschnitt sehr gut zur Geltung kamen. Ursprünglich war sie mit Georges älterem Bruder Albert verlobt gewesen, der aber vor der Hochzeit an einer Lungenentzündung gestorben war. Als George Thronfolger wurde, übernahm er auch die Verlobte seines Bruders, ein Arrangement, das von einigen Zeitgenossen als ein wenig mittelalterlich bezeichnet wurde.
Bea war ganz in ihrem Element. Sie war in betörende rosa Seide gehüllt und hatte ihre hellen Locken so gelegt, dass diese ein klein wenig durcheinander aussahen, so als hätte sie sich gerade aus einem verbotenen Kuss mit einem heimlichen Liebhaber gelöst. Sie sprach angeregt mit dem König. Sie wusste, dass George V . leeres Geschwätz nicht ausstehen konnte; so erzählte sie ihm, wie Peter der Große die russische Marine aufgebaut hatte, und Seine Majestät nickte interessiert.
Peel erschien in der Tür zum Speisesaal, einen erwartungsvollen Ausdruck im sommersprossigen Gesicht. Er suchte Fitz’ Blick und nickte betont. Fitz fragte die Königin: »Darf ich Eure Majestät zum Essen führen?«
Sie hielt ihm den Arm hin. Hinter ihnen reihte sich der König ein, Arm in Arm mit Bea. Die übrigen Gäste stellten sich dem Rang nach in Paaren auf. Als alles bereit war, schritt die Gesellschaft in einer langen Prozession in den Speisesaal.
»Wie schön«, sagte die Königin, als sie den Tisch erblickte.
»Danke«, erwiderte Fitz und stieß einen leisen Seufzer der Erleichterung aus. Bea hatte großartige Arbeit geleistet. Drei Kronleuchter hingen tief über der langen Tafel. Ihr Licht spiegelte sich in den Kristallgläsern, die an jedem Platz standen. Das Besteck war aus Gold, ebenso die Salz- und Pfefferstreuer, sogar die kleinen Schachteln mit Streichhölzern für die Raucher. Das weiße Tischtuch war mit Treibhausrosenblättern bestreut, und als besondere Note hatte Bea
Weitere Kostenlose Bücher