Sturz der Titanen
ihre Stimmen.
»Tut mir leid«, sagte Gus.
»Aber Sie haben natürlich recht.« Walter zeigte kurz seine eigene Freude, indem er lächelte. »Der Tonfall ist arrogant und kriegerisch, aber nichtsdestoweniger schlägt der Kaiser Friedensgespräche vor.«
»Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie dankbar ich Ihnen bin.«
Walter hob warnend die Hand. »Ich will offen zu Ihnen sein. Mächtige Männer im Umfeld des Kaisers, die gegen einen Frieden sind, haben diesem Vorschlag nur zynisch zugestimmt, weil sie in den Augen des amerikanischen Präsidenten gut aussehen wollen. Außerdem sind sie überzeugt, dass die Alliierten den Vorschlag ohnehin ablehnen werden.«
»Dann lassen Sie uns hoffen, dass diese Leute sich irren.«
»Amen.«
»Wann wird der Vorschlag unterbreitet?«
»Man diskutiert noch immer den genauen Wortlaut. Sobald das vom Tisch ist, wird die Note dem amerikanischen Botschafter hier in Berlin übergeben, zusammen mit der Bitte, sie an die alliierten Regierungen weiterzuleiten.« Dieser diplomatische Weg war notwendig, weil Länder, die miteinander im Krieg lagen, offiziell nicht kommunizieren konnten.
»Ich sollte nach London reisen«, sagte Gus. »Vielleicht kann ich ja etwas dafür tun, dass der Vorschlag wohlwollend aufgenommen wird.«
»Ich hatte gehofft, dass Sie das sagen. Ich möchte Sie aber noch um einen weiteren Gefallen bitten, wenn es Ihnen nichts ausmacht.«
»Nach allem, was Sie für mich getan haben? Alles und jederzeit!«
»Es ist etwas Persönliches.«
»Kein Problem.«
»Und es verlangt von mir, Sie in ein Geheimnis einzuweihen.«
Gus lächelte. »Faszinierend!«
»Ich möchte, dass Sie Lady Maud Fitzherbert einen Brief von mir übergeben.«
»Ah.« Gus blickte nachdenklich drein. Er wusste, dass es nur einen Grund geben konnte, weshalb Walter Maud unter dem Siegel der Verschwiegenheit schrieb. »Ich kann mir denken, warum die Sache diskret gehandhabt werden muss. Wie gesagt, kein Problem.«
»Sollte Ihr Gepäck durchsucht werden, wenn Sie Deutschland verlassen oder in England einreisen, dann sagen Sie, dass es der Liebesbrief eines Amerikaners in Deutschland an seine Verlobte in London ist. In dem Brief finden sich keine Namen oder Adressen.«
»Verstanden.«
»Ich danke Ihnen.« Walter seufzte erleichtert. »Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie viel mir das bedeutet.«
Am Samstag, dem 2. Dezember, fand auf Ty Gwyn eine Jagdgesellschaft statt. Earl Fitzherbert und Fürstin Bea wurden in London aufgehalten; daher fungierten Fitz’ Freund Bing Westhampton und Lady Maud als Gastgeber.
Vor dem Krieg hatte Maud Feste wie dieses stets genossen. Natürlich feuerte eine Frau kein Gewehr ab, aber Maud liebte es, das Haus voller Gäste zu haben. Sie freute sich auf den mittäglichen Imbiss, wenn die Damen sich zu den Herren gesellten, und sie genoss das romantische Kaminfeuer und das herzhafte Essen, wenn sie abends zum Herrenhaus zurückkehrten. Aber diesmal war alles anders: Solange Soldaten in den Schützengräben litten und starben, konnte Maud ein Ereignis wie die Jagdgesellschaft nicht aus vollen Zügen genießen. Zwar war niemandem damit gedient, sich vom Krieg das Leben verdüstern zu lassen, aber so war es nun einmal. Maud setzte ihr strahlendstes Lächeln auf und ermutigte jeden, beim Essen und Trinken ordentlich zuzugreifen, doch als sie das Krachen der Schrotflinten hörte, kehrten augenblicklich die Gedanken an die blutigen Schlachtfelder zurück. Sie rührte das Essen nicht an, und auch das Glas mit Fitz’ erlesenem altem Wein wurde abgeräumt, ohne dass sie daran genippt hätte.
In diesen Tagen und Wochen hasste Maud jede Mußestunde; es war angenehmer, sich durch Arbeit von den sorgenvollen Gedanken an Walter abzulenken. Lebte er überhaupt noch? Die Schlacht an der Somme jedenfalls war endlich vorüber. Fitz sagte, Deutschland habe dort eine halbe Million Mann verloren. Ob Walter einer dieser Gefallenen war? Oder lag er irgendwo in einem Lazarett, verwundet, verstümmelt?
Doch die englischen Zeitungen konnten nicht verhehlen, dass die gewaltigen Anstrengungen der British Army im Kriegsjahr 1916 einen Geländegewinn von jämmerlichen sieben Meilen erbracht hatten. Die Deutschen hatten eher Grund zur Freude. Leise und nur im kleinsten Kreis äußerte Fitz, für Großbritannien wäre es am besten, wenn die Vereinigten Staaten in den Krieg eintreten würden.
Vielleicht, überlegte Maud, feiert Walter ja die deutschen Erfolge. Vielleicht erholte er sich gerade in
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