Sturz der Titanen
Außerdem Lord Robert Cecil, der Blockademinister, Arthur Henderson, der Generalzahlmeister und Chef der Labour-Partei, sowie Arthur Balfour, der Erste Lord der Admiralität und Marineminister.«
»Ich habe das Interview gelesen, das Lloyd George den Zeitungen gegeben hat. Er sagte, er will einen Kampf bis zum Sieg durch Knock-out.«
»Ja. Und leider steht die Mehrheit hinter ihm, zumal die Öffentlichkeit kaum Gelegenheit hat, einen anderen Standpunkt zu hören. Wer sich gegen den Krieg ausspricht, wie etwa Bertrand Russell, der Philosoph, muss mit Schikanen rechnen.«
»Was hat das Kabinett denn nun beschlossen?«
»Nichts. Bei Asquith enden die Kabinettssitzungen häufig ohne konkretes Ergebnis. Viele Leute beklagen sich über seine Unentschlossenheit.«
»Ich bin sicher, dass dieses Friedensangebot nicht auf taube Ohren stoßen wird.«
In diesem Moment kam Fitz ins Zimmer. Er trug schwarz-graue Londoner Kleidung und schien gerade erst aus dem Zug gestiegen zu sein. Er trug eine Augenklappe und ging am Stock. Alle Blicke waren auf ihn gerichtet. »Es tut mir leid, Sie enttäuscht zu haben«, sagte er in die Runde. »Letzte Nacht musste ich in London bleiben. Die Hauptstadt ist wegen der neuesten politischen Entwicklungen in Aufruhr.«
»Welche Entwicklungen?«, fragte Gus. »Wir haben heute noch keine Zeitungen bekommen.«
»Lloyd George hat gestern an Asquith geschrieben und verlangt, unsere Kriegführung zu ändern. Er fordert, dass in Zukunft sämtliche Entscheidungen von einem allmächtigen Kriegsrat aus drei Ministern getroffen wird.«
»Und wird Asquith dem zustimmen?«, fragte Gus.
»Natürlich nicht. Er hat Lloyd George geantwortet, sollte jemals ein solcher Kriegsrat gebildet werden, müsse der Premierminister den Vorsitz führen.«
Bing Westhampton, Fitz’ verschmitzter Freund, saß auf einer Fensterbank, die Füße hochgelegt. »Dann ist die Sache vom Tisch«, sagte er. »Jeder Ausschuss, bei dem Asquith den Vorsitz führt, ist genauso entscheidungsmüde wie das Kabinett.« Er sah sich Verzeihung heischend um. »Ich bitte sämtliche anwesenden Minister um Entschuldigung.«
»Nein, du hast recht«, sagte Fitz. »Dieser Brief stellt Asquiths Führungsrolle infrage, zumal Max Aitken, ein Freund von Lloyd George, die Geschichte an sämtliche Zeitungen weitergegeben hat. Ein Kompromiss ist nicht mehr möglich. Jetzt wird bis zum Knock-out gekämpft, wie Lloyd George es ausdrücken würde. Bekommt er seinen Willen nicht, muss er zurücktreten. Bekommt er ihn, muss Asquith gehen, und dann brauchen wir einen neuen Premierminister.«
Maud begegnete Gus’ Blick. Sie wusste, dass sie beide das Gleiche dachten: Solange Asquith in der Downing Street das Sagen hatte, gab es noch Aussicht auf Frieden. Ging jedoch der kriegslüsterne Lloyd George als Sieger aus dem Streit hervor, würde ein Friedensabkommen in weite Ferne rücken.
In der Halle läutete der Gong und verkündete den Gästen, dass es Zeit wurde, in die Abendgarderobe zu wechseln. Die Teegesellschaft löste sich auf. Maud ging auf ihr Zimmer. Ihr Kleid war bereits ausgelegt worden. Sie hatte es in Paris für die Londoner Saison 1914 gekauft. Nun zog sie das Teekleid aus und schlüpfte in einen seidenen Morgenrock. Nach ihrem Dienstmädchen klingeln wollte sie nicht, dann hatte sie wenigstens ein paar Minuten für sich allein.
Sie setzte sich an die Frisierkommode und betrachtete ihr Gesicht im Spiegel. Sie war jetzt sechsundzwanzig, und das ließ sich nicht mehr verhehlen. Hübsch war sie ohnehin nie gewesen, und durch die Härten der Kriegszeit hatte sie das Wenige an mädchenhafter Weichheit, das ihr geblieben war, auch noch eingebüßt, sodass die herbe Strenge ihres Gesichts deutlicher hervortrat. Was würde Walter denken, wenn er sie sah, falls er jemals aus dem Krieg heimkehrte? Maud berührte ihre Brüste. Wenigstens sie waren noch fest. Als sie an Walter dachte, wurden ihre Brustwarzen hart. Sie fragte sich, ob sie Zeit hätte …
Jemand klopfte an die Tür, und Maud senkte schuldbewusst die Hände. »Wer ist da?«
Die Tür öffnete sich, und Gus Dewar trat ins Zimmer.
Maud sprang auf, zog sich den Morgenrock straff um den Körper und sagte abweisend: »Verlassen Sie bitte auf der Stelle mein Zimmer, Mr. Dewar.«
»Keine Angst«, entgegnete er. »Ich muss Sie unter vier Augen sprechen.«
»Ich wüsste nicht, weshalb wir …«
»Ich habe in Berlin mit Walter gesprochen.«
Maud verstummte erschrocken und starrte Gus an. Wie
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