Sturz der Titanen
veränderte!
Fitz richtete den Blick wieder auf Ethel. Sie war noch immer die attraktivste Frau, der er je begegnet war. Er gab einem plötzlich Impuls nach und fragte mit gesenkter Stimme: »Treffen wir uns morgen?«
Sie wirkte erschrocken. »Wozu?«, fragte sie leise.
»Ja oder nein?«
»Wo?«
»Victoria Station. Um eins. An der Treppe zu Bahnsteig drei.«
Ehe sie antworten konnte, trat der Mann mit der dicken Brille zu ihnen, und Ethel machte sie bekannt. »Earl Fitzherbert, darf ich Ihnen Mr. Bernie Leckwith vorstellen, Sekretär der Unabhängigen Arbeiterpartei in Aldgate.«
Fitz schüttelte ihm die Hand. Leckwith war noch keine dreißig. Fitz vermutete, dass seine schlechten Augen ihn vor dem Militärdienst bewahrt hatten.
»Tut mir leid, dass Sie verwundet sind, Lord Fitzherbert«, sagte Leckwith mit Cockneyakzent.
»Ich bin nur einer von Tausenden und kann von Glück sagen, dass ich noch lebe.«
»Hätten wir an der Somme irgendetwas anders machen können, um die Katastrophe zu vermeiden – was meinen Sie? Hätten wir mehr Männer und Munition gebraucht, wie die Generäle behaupten? Eine flexiblere Taktik? Eine bessere Absprache, wie die Politiker sagen?«
Nach kurzem Nachdenken antwortete Fitz: »Ich glaube nicht, dass irgendetwas davon uns den Sieg gebracht hätte. Die Offensive war von Anfang an zum Scheitern verurteilt. Aber wir mussten es versuchen.«
Leckwith nickte, als sähe er seine eigene Ansicht bestätigt. Sie verließen die Kapelle. Fitz half Tante Herm und Maud in den wartenden Wagen; dann stieg er selbst ein, und der Chauffeur fuhr los.
Fitz musste immer noch an Ethels erstaunliche Karriere denken. Vor nicht allzu langer Zeit hatte sie noch Kopfkissenbezüge auf Ty Gwyn gezählt. Heute war sie Geschäftsführerin einer Zeitung, die trotz ihrer geringen Größe von altgedienten Ministern als Stachel im Fleisch der Regierung betrachtet wurde.
Aber wie sah ihre Beziehung zu dem klugen Mr. Leckwith aus?
Am Trafalgar Square ließ Fitz den Fahrer halten und stieg aus. »Ich muss noch einmal ins Büro«, sagte er zu Maud, hinkte zum alten Admiralitätsgebäude und stieg die Treppen hinauf. Sein Schreibtisch stand im diplomatischen Teil des Gebäudes, in dem sich auch Room 40 befand. Sub-Lieutenant Carver, ein Marineoffizier, der in Cambridge Latein und Griechisch studiert hatte und seine sprachlichen Fertigkeiten nun zur Entschlüsselung deutscher Funksprüche einsetzte, meldete Fitz, dass im Laufe des Nachmittags wie üblich nur wenige Nachrichten eingegangen seien. Allerdings gebe es Neuigkeiten aus der Politik.
»Und welche?«, fragte Fitz.
»Der König hat Lloyd George zu sich gebeten«, antwortete Carver.
Den ganzen nächsten Morgen war Ethel wütend auf Fitz. Wie konnte er es wagen, ein Treffen vorzuschlagen, als wäre nichts gewesen? Mehr als zwei Jahre hatte er nichts von sich hören lassen. Und als sie sich dann begegnet waren, hatte er nicht einmal nach Lloyd gefragt, seinem eigenen Sohn. Er war noch immer der gleiche selbstsüchtige, gedankenlose Blender wie früher.
Dennoch war Ethel in einen Strudel gestürzt. Fitz hatte sie mit seinen faszinierenden grünen Augen angeschaut und ihr Fragen über ihr Leben gestellt, die bei Ethel den Eindruck erweckt hatten, als würde sie ihm etwas bedeuten, trotz aller gegenteiligen Beweise. Außerdem war er aufgrund seiner Verwundungen nicht mehr der attraktive Verführer von einst.
Ethel beschloss, sich dennoch mit ihm zu treffen.
Um zwölf verließ sie die Redaktion – zwei kleine Räume über einer Druckerei, die sie mit der Unabhängigen Arbeiterpartei teilte – und stieg in den Bus. Maud war an diesem Vormittag nicht im Büro, sodass Ethel sich keine Ausflüchte einfallen lassen musste. Die Fahrt von Aldgate nach Victoria mit Bus und U-Bahn zog sich hin, und Ethel erreichte den Treffpunkt erst ein paar Minuten nach eins, doch Fitz wartete noch im Bahnhof auf sie. Er stand in seinem Tweedanzug da, als wollte er aufs Land verreisen, und blickte ihr entgegen.
»Ich hatte schon Angst, du versetzt mich.«
»Ich weiß nicht, weshalb ich gekommen bin«, entgegnete sie. »Warum hast du mich um ein Treffen gebeten?«
»Ich möchte dir etwas zeigen.« Fitz nahm ihren Arm und führte sie aus dem Bahnhof. Ethel wunderte sich über seine Kühnheit. Was, wenn sie einem seiner Freunde begegneten? Wahrscheinlich gaben die Herren dann vor, einander nicht zu kennen; in Fitz’ Kreisen wurde von einem Mann nicht erwartet, dass er es nach
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