Sturz der Titanen
den Schultern. »Vielleicht hat man es sich anders überlegt. Hier wie dort gibt es eine Kriegs- und eine Friedensfraktion. Vielleicht hat die Kriegsfraktion die Oberhand gewonnen und den Kaiser umgestimmt.«
»Aber man muss doch erkennen, dass die Ereignisse auf den Schlachtfeldern keinen Einfluss auf den Ausgang des Krieges haben!«, sagte Maud hitzig. »Haben Sie heute Morgen die Zeitung gelesen? Die Deutschen haben Bukarest eingenommen.«
Gus nickte. Rumänien war im August in den Krieg eingetreten. Eine Zeit lang hatte Großbritannien darauf gehofft, der neue Verbündete könnte einen wirksamen Schlag gegen den Feind landen, doch im September waren die Deutschen in Rumänien einmarschiert, und nun war die Hauptstadt gefallen. »Jetzt haben die Deutschen Zugriff auf das rumänische Öl.«
»Ja«, sagte Maud. »Es ist jedes Mal das Gleiche – ein Schritt vor, ein Schritt zurück. Wann begreifen wir das endlich?«
»Und die Ernennung Lloyd Georges zum Premierminister dürfte auch kein Schritt in Richtung Frieden sein«, sagte Gus.
»Vielleicht doch.«
»Wie das? Lloyd George gilt als Kriegsbefürworter. Ausgerechnet er soll Frieden stiften?«
»Wer weiß? Der Mann ist unberechenbar. Ihm wäre eine völlige Kehrtwendung zuzutrauen. Überraschen würde er damit nur diejenigen, die so naiv waren, ihm Unbeweglichkeit zu unterstellen.«
»Dann gibt es also noch Hoffnung?«
»Ich glaube schon. Trotzdem wünschte ich, wir hätten eine Frau als Premierminister.«
Gus bezweifelte, dass es jemals so weit kommen würde.
»Ich wollte Sie noch etwas anderes fragen«, sagte Maud und blieb stehen.
Gus wandte sich ihr zu und ertappte sich dabei, wie er ihr Gesicht musterte, die hohen Jochbeine, den langen Hals, die vollen Lippen und die großen grünen Augen, die die Härte ihrer Züge milderten. »Alles, was Sie möchten«, sagte er.
»Was hat Walter Ihnen gesagt?«
Gus’ Gedanken kehrten zu dem erstaunlichen Gespräch an der Bar des Hotels Adlon in Berlin zurück. »Er sagte, er sei gezwungen, mich in ein Geheimnis einzuweihen, hat mir aber nicht gesagt, um was es sich dabei handelt.«
»Wahrscheinlich glaubte er, Sie wüssten es auch so.«
»Ich nehme an, Walter ist in Sie verliebt. Und als ich Ihnen auf Ty Gwyn den Brief gegeben habe, konnte ich an Ihrer Reaktion erkennen, dass Sie seine Liebe erwidern.« Gus lächelte. »Er kann sich glücklich schätzen, wenn ich das hinzufügen darf.«
Gus las in ihrem Gesicht so etwas wie Erleichterung. Offenbar war das noch nicht das ganze Geheimnis. Vielleicht waren die beiden verlobt.
Sie gingen weiter. Maud überraschte Gus erneut, als sie unvermittelt fragte: »Sind Sie je verliebt gewesen, Mr. Dewar?«
Die Frage war sehr persönlich, aber er beantwortete sie trotzdem. »Ja. Zweimal. Eine der beiden Frauen war verheiratet.«
»Hat diese Frau Sie geliebt?«
»Ja.«
»Was ist geschehen?«
»Ich bat sie, ihren Mann zu verlassen. Wahrscheinlich sind Sie jetzt schockiert; ich könnte es verstehen. Jedenfalls, diese Frau war ein besserer Mensch als ich und hat mein unmoralisches Angebot zurückgewiesen.«
»So leicht bin ich nicht zu schockieren. Und die andere Frau?«
»Sie kam aus Buffalo, meiner Heimatstadt. Wir waren verlobt, aber sie hat dann einen anderen geheiratet.«
»Das tut mir leid. Vielleicht hätte ich nicht fragen sollen. Jetzt habe ich sicher schmerzhafte Erinnerungen geweckt.«
»Sehr schmerzhafte.«
»Dann wissen Sie, welchen Kummer die Liebe einem bringen kann?«
»Oh ja.«
»Aber vielleicht gibt es ja doch Frieden, und mein Kummer hat bald ein Ende.«
»Ich wünsche es Ihnen sehr, Lady Maud«, sagte Gus.
Tagelang plagte Ethel sich mit Fitz’ Angebot herum. Wenn sie frierend im Garten stand und mit der Mangel die Wäsche auswrang, stellte sie sich vor, in dem schönen Häuschen in Chelsea zu wohnen, während Lloyd im Garten umhertollte, beaufsichtigt von einem wachsamen Kindermädchen. Fitz hatte gesagt, er gäbe ihr alles, was sie wollte, und Ethel wusste, dass er die Wahrheit sagte, was das anging. Er würde ihr das Haus überschreiben. Er würde sie in die Schweiz mitnehmen und nach Südfrankreich. Wenn sie sich darauf versteifte, konnte sie ihn sogar dazu bringen, ihr eine jährliche Leibrente zu zahlen, sodass sie selbst dann, wenn sie ihn irgendwann langweilte, ein Auskommen hätte. Aber sie würde schon dafür sorgen, dass sie ihm nie langweilig wurde.
Genau das war der Punkt. Genau deshalb fand sie den Vorschlag beschämend und
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