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Sturz der Titanen

Titel: Sturz der Titanen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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hörte schweigend zu. Die Arbeiterbewegung war gespalten, was einen Friedenschluss anging. Ramsay MacDonald, der am 3. August 1914 vor dem Parlament gegen eine bewaffnete Auseinandersetzung zu Felde gezogen war, hatte seinen Rücktritt eingereicht, als der Krieg erklärt worden war. Seitdem hatten die Abgeordneten der Labour-Partei den Krieg unterstützt, was auch für die meisten ihrer Wähler galt. Doch Labour-Anhänger gehörten zu den skeptischsten Angehörigen der Arbeiterschicht; es gab eine starke Minderheit, die Frieden wollte.
    Fitz begann mit den stolzen Traditionen Großbritanniens. »Über Jahrhunderte hinweg haben wir das Gleichgewicht der Macht in Europa aufrechterhalten, und das nicht durch Gewalt, sondern indem wir uns mit den schwächeren Nationen verbündet haben. Auf diese Weise konnten wir verhindern, dass eine der europäischen Nationen eine beherrschende Stellung erringen konnte. Der deutsche Reichskanzler hat nichts zu den Bedingungen einer Friedenslösung gesagt, aber jedes Gespräch darüber muss vom gegenwärtigen Zustand ausgehen. Käme es jetzt zum Friedensschluss, wäre Frankreich gedemütigt und müsste Gebietsverluste hinnehmen. Belgien würde zu einem Satellitenstaat. Deutschland würde den Kontinent durch seine Militärmacht beherrschen. Wir dürfen nicht zulassen, dass es so weit kommt! Wir müssen bis zum Sieg kämpfen!«
    Als die Diskussion begann, sagte Bernie: »Earl Fitzherbert ist als Privatmann hier, nicht als Heeresoffizier, und er hat mir sein Wort gegeben, dass Soldaten im Publikum keine Nachteile erleiden, egal welche Meinung sie bei ihrer Wortmeldung vertreten. Anderenfalls hätten wir den Earl heute Abend gar nicht erst eingeladen.«
    Die erste Frage stellte Bernie selbst. Wie üblich war es eine gute Frage. »Wird es Europa destabilisieren, wenn Frankreich gedemütigt wird und Gebiete verliert, Lord Fitzherbert?«
    Fitz nickte.
    »Wenn hingegen Deutschland gedemütigt wird und Elsass-Lothringen verliert, was ohne Zweifel geschehen würde«, brachte Bernie seine nächste Frage vor, »wird Europa dadurch stabilisiert?«
    Ethel konnte sehen, dass Fitz für einen Moment aus dem Konzept gebracht war. Er hatte nicht damit gerechnet, dass er es im Eastend mit solch scharfsinnigen Gegnern zu tun bekam. Intellektuell konnte er Bernie nicht das Wasser reichen. Ethel bedauerte ihn ein wenig.
    »Woher kommt der Unterschied?«, fragte Bernie, und die Friedensfraktion in der Zuhörerschaft murmelte zustimmend.
    Fitz fing sich rasch wieder. »Der Unterschied kommt daher«, sagte er, »dass Deutschland der Aggressor ist – brutal, militaristisch und grausam. Würden wir jetzt Frieden schließen, würden wir dieses Gebaren belohnen und Deutschland ermutigen, es in Zukunft zu wiederholen.«
    Das brachte ihm Jubel vom anderen Teil des Publikums ein, und Fitz hatte sein Gesicht gewahrt, aber das Argument war schwach, und Maud erhob sich, um es auszusprechen. »Am Ausbruch des Krieges war nicht nur eine einzelne Nation schuld«, sagte sie. »Es hat sich eingebürgert, Deutschland verantwortlich zu machen, und unsere militaristischen Zeitungen verbreiten dieses Märchen. Wir erinnern uns an Deutschlands Einmarsch in Belgien und sprechen davon, als wäre er ohne jede Provokation erfolgt. Nur scheinen wir darüber vergessen zu haben, dass an Deutschlands Grenze sechs Millionen russische Soldaten mobilisiert wurden. Wir scheinen vergessen zu haben, dass Frankreich sich geweigert hat, seine Neutralität zu garantieren.« Einige Männer buhten sie aus, was Ethel aber nicht verwunderte: Man wurde selten gelobt, wenn man den Leuten sagte, dass die Dinge nicht so einfach sind, wie sie gerne glauben. »Ich behaupte nicht, dass Deutschland unschuldig wäre«, rief Maud. »Ich sage vielmehr, kein Land ist unschuldig. Ich sage, dass wir nicht kämpfen, um Europa zu stabilisieren, um Belgiens Rechte zu schützen oder um den deutschen Militarismus zu bestrafen. Wir kämpfen, weil unser Stolz es uns verbietet, einen Fehler einzugestehen!«
    Ein Soldat in Uniform stand auf, und Ethel erkannte mit Stolz ihren Bruder Billy. »Ich habe an der Somme gekämpft«, begann er, und im Publikum wurde es still. »Ich möchte erzählen, wieso wir dort so viele Männer verloren haben.« Als Ethel aus ihm die kräftige Stimme und die ruhige Überzeugung ihres Vaters hörte, wurde ihr klar, dass Billy einen großartigen Prediger abgegeben hätte. »Uns wurde von unseren Offizieren gesagt«, er streckte den Arm aus und

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