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Sturz der Titanen

Titel: Sturz der Titanen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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wies anklagend auf Fitz, »der Sturmangriff würde ein Spaziergang sein.«
    Ethel sah, wie Fitz unbehaglich auf seinem Stuhl hin und her rutschte.
    Billy fuhr fort: »Uns wurde gesagt, dass unsere Artillerie die feindlichen Stellungen vernichtet hätte, die Gräben dem Erdboden gleichgemacht und die Unterstände verschüttet, sodass wir nur tote Deutsche vorfinden würden, wenn wir auf die andere Seite kämen.«
    Billy sprach nicht die Personen auf dem Podium an, bemerkte Ethel, sondern blickte sich um, bestrich das Publikum mit einem zwingenden Blick und sorgte dafür, dass aller Augen auf ihn gerichtet waren.
    »Warum hat man uns so etwas weisgemacht?«, fragte Billy. Nun schaute er Fitz direkt an und sprach mit deutlicher Betonung. »Wieso diese vielen Unwahrheiten?«
    Aus dem Publikum erhob sich zustimmendes Gemurmel. Ethel sah, wie Fitz’ Gesicht dunkel anlief. Sie wusste, dass für einen Aristokraten wie ihn der Vorwurf der Lüge die schlimmste aller Beleidigungen war. Billy wusste es ebenfalls.
    »Die deutschen Stellungen waren nicht vernichtet«, rief Billy. »Das wussten wir in dem Moment, als wir in deutsches Maschinengewehrfeuer liefen!«
    Die Reaktionen des Publikums wurden lauter. »Schande!«, rief jemand.
    Fitz erhob sich, um zu antworten, doch Bernie sagte: »Einen Augenblick, bitte. Lord Fitzherbert, lassen Sie den Sprecher zu Ende reden.« Fitz setzte sich und schüttelte nachdrücklich den Kopf.
    Billy hob die Stimme. »Haben unsere Offiziere durch Luftaufklärung und Spähtrupps überprüft, wie groß der Schaden war, den unsere Artillerie den deutschen Linien tatsächlich zugefügt hatte? Und wenn nicht, wieso nicht?«
    Wieder erhob sich Fitz. Er kochte vor Wut. Im Publikum wurde gejubelt und gebuht zugleich. Fitz ergriff das Wort. »Sie begreifen das nicht …«
    Doch Billy sprach noch lauter. »Falls die Offiziere die Wahrheit kannten«, rief er, »warum haben sie uns dann etwas anderes erzählt?«
    Fitz begann zu brüllen, und das halbe Publikum fiel ein, aber Billys Stimme übertönte dennoch alle anderen. »Ich stelle nur eine ganz einfache Frage: Sind unsere Offiziere Narren, oder sind sie Lügner?«

    Ethel erhielt einen Brief in Fitz’ kräftiger, selbstbewusster Handschrift auf seinem teuren Wappenpapier. Das Treffen in Aldgate sprach er nicht an; stattdessen lud er sie für den folgenden Tag – Dienstag, den 19. Dezember – in den Westminster Palace ein, um sich auf der Galerie des Unterhauses Lloyd Georges Antrittsrede als Premierminister anzuhören. Ethel war schrecklich aufgeregt. Sie hätte nie geglaubt, den Westminster Palace jemals von innen zu sehen, geschweige denn, ihren Helden reden zu hören.
    »Was glaubst du, weshalb hat er dich eingeladen?«, fragte Bernie an diesem Abend und traf damit wie üblich den Nagel auf den Kopf.
    Ethel wusste keine plausible Antwort. Unverfälschte Freundlichkeit war nie Fitz’ Art gewesen. Er konnte großzügig sein, wenn es ihm passte. Deshalb fragte Bernie sich mit seinem guten Gespür, ob Fitz im Gegenzug etwas von ihr erwartete.
    Bernie war mehr Verstandesmensch, als dass er sich von Gefühlen und Ahnungen leiten ließ; dennoch hatte er gespürt, dass zwischen Fitz und Ethel irgendeine Verbindung bestand, und nun reagierte er darauf, indem er zutraulich wurde. Die Veränderung war nicht dramatisch, denn Bernie neigte nicht zu so etwas, doch er hielt Ethels Hand einen Augenblick länger als üblich, rückte ihr ein bisschen näher, als ihr angenehm war, tätschelte ihr die Schulter, wenn er mit ihr sprach, und hielt sie am Ellbogen fest, als sie eine Stufe hinunterstiegen. Es waren instinktive kleine Gesten und Berührungen, aus einem Gefühl der Unsicherheit geboren, mit denen Bernie ihr zu verstehen gab, dass sie ihm gehörte. Es fiel Ethel schwer, nicht jedes Mal zusammenzuzucken: Fitz hatte sie auf grausame Weise an die Empfindungen erinnert, die sie Bernie eben nicht entgegenbrachte.
    Maud kam am Dienstag um halb elf in die Redaktion, und die beiden Frauen arbeiteten den ganzen Vormittag zusammen. Maud konnte die Titelseite der nächsten Ausgabe nicht schreiben, ehe Lloyd George seine Rede gehalten hatte, doch es gab genug andere Dinge zu erledigen: Stellenanzeigen, Gesuche nach Kinderfrauen, Hinweise zur Gesundheit von Mutter und Kind aus der Feder von Dr. Greenward, Rezepte und Leserbriefe.
    »Fitz ist stocksauer wegen dieser Versammlung«, berichtete Maud.
    »Ich hatte dich gewarnt, dass sie es ihm nicht leicht machen«,

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