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Sturz der Titanen

Titel: Sturz der Titanen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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entgegnete Ethel.
    »Das ist ihm egal. Aber Billy hat ihn einen Lügner genannt.«
    »Bist du sicher, dass er sich nicht deshalb ärgert, weil Billy das Streitgespräch für sich entschieden hat?«
    Maud lächelte wehmütig. »Vielleicht hast du recht.«
    »Ich hoffe nur, dass er Billy deshalb jetzt nicht schikaniert.«
    »So etwas würde er niemals tun«, sagte Maud überzeugt. »Dann würde er sein Wort brechen.«
    In einem Café an der Mile End Road aßen sie zu Mittag. Ein guter Halt für Automobilisten , stand auf dem Schild, und es wimmelte von Lastwagenfahrern. Maud wurde vom Personal fröhlich begrüßt. Sie aßen Pastete mit Rindfleisch und Austern; die billigen Austern dienten dazu, das rar gewordene Rindfleisch zu ersetzen.
    Danach fuhren sie mit dem Bus durch ganz London ins Westend. Als Ethel zu Big Ben hinaufblickte, zeigte die große Uhr halb vier. Lloyd Georges Rede war für vier Uhr angesetzt. Es lag in seiner Hand, den Krieg zu beenden und Millionen Menschen das Leben zu retten. Was würde er tun?
    Lloyd George war stets für den kleinen Mann eingetreten. Vor dem Krieg hatte er sich Schlachten mit dem Oberhaus und dem König geliefert, um Renten einzuführen. Ethel wusste nur zu gut, was dies für alte Leute bedeutete, die keinen Penny besaßen. An dem ersten Tag, an dem Renten gezahlt wurden, hatte sie alte Bergleute – einst starke Männer, die nun gebeugt gingen und zitterten – aus dem Postamt von Aberowen kommen und weinen sehen vor Glück, dass sie nicht mehr völlig mittellos waren. Auf diese Weise war Lloyd George zum Helden der Arbeiterklasse geworden, denn das Oberhaus hatte das Geld für den Bau von Kriegsschiffen ausgeben wollen.
    Würde ich seine Rede verfassen, überlegte Ethel, würde ich schreiben: »Es gibt Augenblicke im Leben eines Mannes und einer Nation, wo es richtig ist zu sagen: Ich habe mein Äußerstes getan. Deshalb werde ich meine Bemühungen aufgeben und einen anderen Weg einschlagen. Soeben habe ich einen Waffenstillstand für sämtliche britischen Armeen in Frankreich und Belgien angeordnet. Die Waffen schweigen!«
    Möglich wäre es. Die Franzosen wären zwar außer sich, müssten sich aber am Waffenstillstand beteiligen oder das Risiko eingehen, dass Großbritannien einen Separatfrieden schloss und Frankreich der sicheren Niederlage überließ. Der Friedensschluss würde Frankreich und Belgien schwer treffen, aber nicht so schwer wie der Verlust von weiteren Millionen Menschenleben.
    Das wäre die Tat eines großen Staatsmanns gewesen – und das Ende von Lloyd Georges politischer Laufbahn: Niemand würde den Mann wiederwählen, der den Krieg verloren hatte. Aber was für ein Abgang es wäre!
    Fitz wartete in der Central Lobby. Gus Dewar war bei ihm. Der Amerikaner war offensichtlich genauso gespannt wie alle anderen, wie Lloyd George auf die Friedensinitiative reagieren würde.
    Sie stiegen die lange Treppe zur Galerie hinauf und nahmen ihre Plätze ein, die ihnen einen Blick in den Plenarsaal gewährten. Rechts von Ethel saß Fitz, links Gus. Unter ihnen waren die Reihen grüner Lederbänke bereits bis auf den letzten Platz mit Abgeordneten besetzt; nur die wenigen Plätze in der vordersten Reihe, traditionell für das Kabinett reserviert, hatte man freigelassen.
    »Unter den Abgeordneten ist keine einzige Frau«, sagte Maud mit lauter Stimme.
    Ein Saaldiener in formeller Hofkleidung mit samtenen Kniehosen und weißen Strümpfen zischte beflissen: »Ruhe bitte!«
    Unten im Saal trat nun ein Hinterbänkler ans Rednerpult, doch kaum jemand hörte ihm zu. Alles wartete auf den neuen Premierminister. Fitz sagte leise zu Ethel: »Dein Bruder hat mich beleidigt.«
    »Ach, du Ärmster«, erwiderte Ethel. »Hat er deine Gefühle verletzt?«
    »Männer haben schon aus geringfügigeren Gründen Duelle ausgefochten.«
    »Endlich mal eine vernünftige Idee für das zwanzigste Jahrhundert.«
    Ihr Spott berührte Fitz nicht. »Weiß Billy, wer Lloyds Vater ist?«
    Ethel zögerte. Sie wollte es ihm nicht verraten, aber lügen wollte sie auch nicht.
    Ihr Zögern war beredt genug. »Ich verstehe«, sagte Fitz. »Das erklärt seine wüste Beschimpfung.«
    »Ich glaube nicht, dass du nach einem persönlichen Grund suchen musst«, erwiderte sie. »Was an der Somme passiert ist, genügt voll und ganz, um Soldaten wütend zu machen, findest du nicht?«
    »Man sollte ihn wegen Aufsässigkeit vors Kriegsgericht stellen.«
    »Aber du hast versprochen …«
    »Ja«, fiel er ihr schroff

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